Die härteste Rückrunde seit Jahren

In wenigen Tagen startet die zweite Fußball-Bundesliga wieder aus der Winterpause. Ein Blick auf die Jahn-Konkurrenten zeigt: Viele haben personell bei ihren Schwachstellen nachgebessert. Der Jahn hingegen vertraut weitgehend auf sein Personal. Auch deshalb wäre ein Klassenerhalt mehr denn je ein kleines Wunder. Eine kommentierende Analyse. 

Beim SSV Jahn war die dieses Jahr extrem lange Winterpause traditionell sehr ruhig. Die größte Personalie? Zweifellos der neue Sportdirektor Tobias Werner, der sich in den ersten Wochen vor allem einarbeiten musste, wie er vergangene Woche im TVA-Jahnstudio betonte. „Wir sind gut gerüstet für die Rückrunde mit diesem Kader“, sagte Werner. Trotzdem sei man gesprächsbereit, wenn „die spannende Personalie auf den Markt kommt, die uns weiterhilft.“ Das Transferfenster ist jedenfalls noch bis zum 31. Januar geöffnet. Mit Torwart Jonas Urbig wurde bislang ein einziger Spieler neu verpflichtet. Ist das Ausdruck großen Vertrauens in den bestehenden Kader oder grob fahrlässig? 

Festzustellen ist, dass so mancher Konkurrent des Jahn im Abstiegskampf durchaus aufgerüstet hat. Man betrachte die Teams in der unteren Tabellenhälfte einschließlich Hansa Rostock. Das ist der Kreis der Teams, die wohl auch bis zum Saisonende um den Abstieg kämpfen würden. Es geht eng zu: Vom Tabellenneunten Rostock auf den Letzten Sandhausen mit 16 Punkten sind es bloß fünf Punkte! Die Teams davor sind bereits etwas enteilt. Vom Rostock auf den Tabellenachten Kiel besteht eine kleine Lücke von vier Punkten.

Von den Teams zwischen Rang neun und 18 war am aktivsten der 1. FC Nürnberg, der mit Jannes Horn (VfL Bochum), Florian Flick (Schalke 04), Peter Vindahl Jensen (AZ Alkmaar, alle Leihe), Benjamin Goller (Werder Bremen) und Jermain Nischalke (eigene U23) gleich auf sämtlichen Positionen nachgelegt hat.Zuletzt ging sogar noch der prominente Rückkehrer Danny Blum (Apoel Nikosia) nach Nürnberg. Horn hat sich allerdings gleich am Knie verletzt und fällt monatelang aus.

Der SV Sandhausen läuft fast schon traditionell in der Winterpause heiß. Mit Raphael Framberger (FC Augsburg), Kerim Calhanoglu (Schalke 04, beide Leihe) und Franck Evina (Hannover 96) kamen drei Spieler.
Vor allem international hat der FC St. Pauli investiert: Bei Oladapo Afolayan (Bolton Wanderers), Karol Mets (FC Zürich), Marines Roque Junior (Radomiak Radom) muss man allerdings fragen, wie schnell die Anpassung an die 2. Bundesliga klappt. Elias Saad (Eintracht Norderstedt) ist ein begehrtes Regionalliga-Talent und hätte auch ins übliche Scoutingmuster des SSV Jahn gepasst. 

Punktuell verstärkt haben sich der 1. FC Magdeburg mit dem ehemaligen Frankfurter Erstligastürmer Luc Castaignos (vereinslos), Arminia Bielefeld mit Theo Corbeanu (Wolverhampton Wanderers) und Christopher Schepp (TuS Lohne), der Karlsruher SC mit dem langjährigen Mainzer Daniel Brosinski (vereinslos) sowie Eintracht Braunschweig mit Manuel Wintzheimer (Nürnberg) sowie dem begehrten Talent Linus Gechter (Hertha BSC, beide Leihe). Bei Hansa Rostock (Zugang Theo Martens aus der eigenen Jugend) und Greuther Fürth (keine Transfers) herrschte hingegen weitgehend Ruhe. (Stand Transferangaben: 21. Januar 2023)

Was auffällt bei diesen Transfers, dass sie für Zweitligisten aus der unteren Tabellenhälfte doch relativ hochkarätig sind. Viele Erstligaspieler lassen sich auf den Abstiegskampf in der zweiten Liga ein. Das hat einen Grund: Anders als in den vergangenen Jahren ist noch kein Team abgeschlagen (wie etwa Aue und Ingolstadt vergangene Saison). Jeder will mit aller Macht dem Abstieg entgehen, seien es die „großen“ Teams wie Nürnberg und Bielefeld oder Aufsteiger wie Braunschweig und Magdeburg. Gerade letztere scheinen damit punktuell ihre Offensivschwäche verbessern zu wollen (Braunschweig mit 18, Magdeburg mit 20 Toren). 

Das macht es umso schwieriger für den Jahn im kommenden Halbjahr. Klar: Neue Spieler bringen keinen automatischen Erfolg, das hat man oft genug in den vergangenen Jahren gesehen. Und ein funktionierendes Kollektiv kann individuelle Klasse ausstechen. Dafür muss aber vieles passen: Wenig Verletzungspech; eine gewisse Konstanz, um Sicherheit zu gewinnen; den ein oder anderen Unterschiedsspieler; und ja – auch ein Umfeld, das hinter dem Team steht und nicht sofort in Panik ausbricht.

All das ist beim Jahn diese Saison weniger als sonst gegeben: Das Verletzungspech bleibt dem Team treu. Fielen bereits in der Hinrunde bereits wichtige Spieler aus, so fehlten bei den beiden letzten Vorbereitungsspielen mit Albers, Schönfelder, Breitkreuz, Idrizi, Viet und Saller schon wieder sechs teils sehr wichtige Akteure. Ganz nebenbei wird der ungeklärte Verbleib von insgesamt 19 (!) Spielern (darunter zwölf auslaufende Verträge sowie sieben Leihspieler) das Team nicht ganz unbeeindruckt lassen – vielleicht auch ein Grund für die immer wieder aufscheinende Instabilität des Jahn in der Hinrunde, wo sich tolle Spiele wie im Pokal gegen Köln oder das 3:0 in Kaiserslautern mit haarsträubenden Auftritten wie dem 0:6 gegen Karlsruhe oder dem 0:3 in Paderborn abwechselten. Dazu kommt die Frage, wie der psychologische Nackenschlag des 4:5 in Heidenheim am letzten Spieltag vor der Winterpause, in dem man zwischenzeitlich bravourös zurückgekommen war, verarbeitet wird.

Die rechnerische Ausgangslage immerhin ist ganz passabel. Der Jahn steht mit 19 Punkten auf Rang zwölf. Und mit Sarpreet Singh greift (endlich) ein potenzieller Unterschiedsspieler ins Geschehen ein. Das darf aber nicht trügen: Auf den Tabellenletzten sind es nur drei Punkte. Vom ersten Spieltag an geht es knallhart gegen den Abstieg. Auch das ein Wink an so manchen Anhänger, der sich eher Galavorstellungen erhofft und deswegen angesichts der offensiv wenig ansehnlichen Leistungen des Jahn in der Hinrunde murrt. Egal wie, es sollten mindestens genau so viele Punkte wie in der Hinrunde herausspringen. Weil die Konkurrenz aufgerüstet hat, wird es die härteste Rückrunde seit dem Aufstieg 2017. Alle sollten sich bewusst sein: Noch mehr denn je wäre ein siebtes Jahr zweite Liga für den SSV Jahn ein kleines Wunder. Aber auch ein kleines sollte den Jahnfans genügen.

Von Flo1889fm


Wir bedanken uns bei @jogatzka für die Bereitstellung von Fotos.