Taktikbriefing: Rückblick auf Samstag und der kommende Gegner

Vor dem großen Spiel im Jahnstadion wollen wir einen Blick auf die letzte Partie werfen, um dann einige Schwachstellen, die Identität sowie die Statistik bei Wehen Wiesbaden aufzudecken. (Beitragsbild: Alex Grimm/Getty Images, Gatzka)

Harte Wochen rund um den Jahn: 12 Punkte verspielt, gegen Saarbrücken verloren – ohne Euphorie in die Relegationsspiele gegen Wehen Wiesbaden. Derweil lebte der Drittligist immer von dieser Euphorie rund um das Saisonende, doch hier spielt nun Krise gegen Krise oder auch 6 Spiele sieglos gegen 8 Spiele sieglos. Aber nein, es geht dennoch um die Teilnahme an der 2. Bundesliga 24/25. Wenigstens spricht die Statistik für den Jahn: 73,3 % der Duelle entschied der Verein aus der 3. Liga.

Quelle: Statistia

Also, dann gehen wir mit gutem Gefühl in die Relegation – oder?

Nein… das „Warum“ beantworte ich im Rückblick auf Samstag.

Was lief gegen Saarbrücken falsch?

Dieses Spiel war in erster Linie frustrierend. Es gibt ein Sprichwort im Sport: Man trainiert nicht das Kind, das es ist, sondern den Sportler, der er sein wird. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das wirklich aktuell noch glaube, aber es half mir immer wieder beim Blick auf diese Jahnelf: Diese Basis war lange Zeit so gut, dass ich Hoffnung hatte, dass dieses Kind weiter wachsen würde, lernen und dann ein nicht vorhersehbarer Erfolg von alleine eintreten könnte. Aber irgendwie begann im Laufe der Zeit diese Basis zu bröckeln. Aus einem Lernen aus Fehlern blieben am Samstag einige Fehler übrig.

Eigentlich war mir schon vor dem Spiel klar, dass an diesem Tag nur eine Mannschaft so richtig musste und das waren wir. Saarbrücken kam das ein Stück weit entgegen, denn in ihrem System (3-5-2) mit drei Innenverteidigern und der Möglichkeit, eine Fünferkette zu bilden, wird ein solides Fundament für die Defensive gelegt, dazu können die Mittelfeldspieler einen tiefen Block unterstützen und Passwege zustellen. Und genau das taten sie, der Eindruck entstand schon relativ früh, dass sie sich ihrer Rolle bewusst waren und so mit Geduld agierten. –> Saarbrückens 3-5-2 habe ich im Vorbericht näher erläutert: Stammtisch: Krise, Personalfragen und Relegation? – DER-JAHN-BLOG (derjahnblog.de)

Das Gegentor

Die Anfangsphase war dann durchaus von höheren Ballbesitzanteilen der Saarländer geprägt. Dass deren Tor genau in eine kurze Ruhephase fällt, wo man dachte, es könnte jetzt kippen, ist auch etwas bezeichnend.

Stehle ist hier in dieser Situation, nach einer Klärungsaktion, völlig frei, obwohl zwei Jahnspieler im Zugriffsbereich liegen. Folgerichtig erzielt er in Minute 7 das 1:0 für Saarbrücken. Im Nachhinein muss man leider sagen, dass diese Art der Tore mehr als unnötig ist. Steht hier einer der beiden Spieler einen Meter näher am Stürmer, dann kann dieser nicht den Ball annehmen und den Ball nicht so verarbeiten, damit es zum Abschluss kommt. Auch Boeder steht völlig blank in perfekter Position, da Brünker eigentlich grundlos gedoppelt wird. Und genau das ist mein Problem mit der aktuellen Situation: Das ist kein mannschaftstaktisches Problem, sondern eines, wo man einfach improvisieren muss und von ABC-Anweisungen (hier Manndeckung) umschalten in ein Denken, wo man diesen Meter hin zum Gegner einfach geht, weil man ihn gehen muss.

Fehlende Improvisation

Und dieses Problem zog sich, wie bereits die Wochen zuvor, durch das gesamte Spiel. Wir wollten deren Linien (=Ketten) mittels langen Bällen auf Elias Huth überspielen, um ihn herum sollte Niclas Anspach für Chaos sorgen. Dieses hohe Tempo wollten wir auch flach ausnutzen, dafür brauchen wir Raum. Wenn der Gegner den Raum verkleinert, wird es statisch und langsam. Doch der Jahn war ideenlos, weil ihm clevere Problemlöser fehlen. Christian Viet wäre dieser Kreativspieler, deswegen nahm er eine tiefere Position ein, um diese Kreativität im tiefen Spielaufbau einzubringen. Saarbrücken reagierte darauf und beide Stürmer waren stets gewillt, den Fokus auf Viet mit einer Raumverengung zu legen.
Wenn ich auf diese totale Fußballutopie beim Jahn hinarbeiten würde, würde ich nach Spielern suchen, die improvisieren können – wie Viet. Um zu improvisieren, muss man kreativ sein. Wenn man sich den Kader von Jahn Regensburg anschaut, sehe ich nicht viele Spieler, die über den Tellerrand hinausschauen können, weder mit noch ohne Ball.

Brünker lief immer sehr gut an, sodass er den Deckungsschatten auf Viet streckte. Wie man in der Abbildung sieht, konnte die Außenverteidigung immer wieder angespielt werden. Dazu waren Anspach wie Bulic immer wieder bemüht, sich in Halbräumen (siehe unten) freizulaufen, aber Saarbrücken konnte immer gut reagieren und Rabihic wie Kerber reagierten auf den Aufbau mit den jeweiligen Läufen, auch wenn es vielleicht nicht direkt im Aufgabenbereich lag.

Die Gegner des Jahn lernen immer mehr, dass man die Verbindung zwischen den Angreifern und der letzten Angriffsreihe unterbrechen kann, wenn man den Zugang zu Viet unterbricht, weil es sonst nicht genug kreative Möglichkeiten gibt. In jedem Spiel ist Viet ständig in Bewegung, gestikuliert und versucht, Räume für andere zu öffnen. In solchen Situationen würde ich normalerweise nur raten, dass die Spieler um ihn herum sich in die Lücken fallen lassen müssen, die er hinterlässt. Aber ehrlich gesagt, gab es diese Lücken am Samstag nicht wirklich. Es gab einfach zu viele Spieler, die das Mittelfeld verstopften, nachrückten zum Verteidigen und so nur wenig Raum zur Verfügung stellten.

Hier wollte man mit Saller-Anspach-Bauer in ein Dreieck kommen und so über die Flügelspieler hinter die Kette. Das funktionierte auch immer wieder gut, oft arbeitete man sich über diese Weise nach vorne, dabei endeten Angriffe aber oft wegen eigener technischer Fehler oder einem statischen Verhalten, wonach Saarbrücken versuchte, Passoptionen nach vorne zuzustellen. Weil Rahibic und Kerber so gut im Spiel waren, wurde oft der Weg zur Außenverteidigung oder zu Anspach bzw. Bulic versperrt. Oft wurde der Druck so groß, dass Felix Gebhardt als „Notfallknopf“ agierte.

Der FCS konnte sich nun einen Vorteil verschaffen, denn man nutzte die fehlende Geduld des Jahn aus. Ich bin der Auffassung, dass man sich einfach von diesem “jeder muss seine Positionen besetzen” entfernen muss, das zeigen diese Spiele deutlich. Im Zusammenhang mit dem Positionsspiel geht es vor allem darum, durch die richtige Positionierung am Feld eine Überzahl zu schaffen. Um dies zu erreichen, analysieren viele Trainer das gegnerische Pressing sehr genau und bereiten die Aufbautaktik für jedes Spiel vor. Diese Anpassung auf den Gegner spüre ich bei uns jedoch nicht im großen Stil. Auch gegen Saarbrücken waren es Kleinigkeiten, die uns auch besser machten, aber eben nicht das, was uns siegen lässt. Ziehl führte uns trotzdem immer wieder in Situationen, wo wir mit dem Rücken zum Tor standen, aber angesichts des Drucks mit einer Berührung weiterspielen mussten, dadurch schlichen sich Fehler ein, die die Saarländer nutzten. Auch hier geht es für mich sehr viel um Mut – und Kreativität. Mit dieser festen Struktur tun wir uns aktuell mehr selbst weh. Ein Beispiel: Wenn wir Spieler in der Nähe des Balles im eigenen Drittel benötigen, dann ist es egal, wie andere Räume besetzt sind. Denn diesen können wir nicht bespielen, wir benötigen die stetige Präsenz in der Nähe des Balles, die mit diesem festen Positionsspiel nicht möglich ist. Um sich davon zu entfernen, ist aber viel Dynamik notwendig, was aktuell mit diesen schweren Füßen nicht einfach ist.

Flanken sind kein Erfolgsgarant

So wählte der Jahn zunehmend mehr lange Bälle, welche – rein naturell – sehr schwer für die Stürmer zu kontrollieren sind. So konnte die kopfballstarke Innenverteidigung der Gäste immer wieder Ballgewinne einfahren, auch weil der SSV eigentlich ausschließlich auf Flanken setzte. Oft in der Nähe der Auslinie beim Strafraumeck, wo die Wahrscheinlichkeit eines Torerfolgs nach Flanke statistisch am geringsten ist. Das klingt nach wenig. Wenn man bedenkt, dass die durchschnittliche Flankenverwertung insgesamt schon bei nur 1,76 % liegt, wird es aber noch weniger. Wir schlagen oft diese Flanken aus den weiten Räumen, da hier weniger Gegner anzutreffen sind – wo wir wieder beim Punkt der Improvisation wären, der gerade hier spürbar ist. Plakativ: Wenn ich in der Analyse merke, dass ich hier auf eine der kopfballstärksten Innenverteidiger der Liga treffe, sollte ich nicht aus den Räumen Flanken schlagen, wo es am dankbarsten für diese Spieler ist. Dazu muss ich nach der 10. erfolglosen Flanke vielleicht nach anderen Lösungen suchen.

Quelle: Statsbomb

Übrigens: Es ist statistisch belegt, dass bessere Mannschaften von Natur aus eine niedrige Flankenquote haben. Erfolg und Flankenverwertung stehen dahingehend in einem umgekehrten Verhältnis: Je höher der Anteil der Flanken einer Mannschaft ist, desto geringer ist die Punktzahl pro Spiel.

Probleme gegen den Ball

Grundsätzlich habe ich schon in der Analyse vor dem Spiel, die ich jede Woche mache, gemerkt, dass Saarbrücken mit dem Ball keine Übermannschaft ist. So sieht man unter Ziehl eine relativ simple Basis, hier ein paar Ideale:

  • Der Großteil des Aufbaus geht über die Innenverteidiger, die relativ eng beisammen stehen, aber auch oft Dribblings über die erste Pressinglinie hinweg ansetzen. Davor platziert sich der mittlere Innenverteidiger der Dreierkette, der als absichernde Sechs fungiert. Die Außenverteidiger agieren flexibel, schalten sich aber in der Offensive ein und stehen sehr hoch.
  • Häufig spielt ein Innenverteidiger auf einen der Außenverteidiger, danach soll aus dem zentralen Mittelfeld Personal kommen, um über bspw. Dreiecke schnell nach vorne zu gelangen, allerdings auch direkte lange Bälle in Richtung der äußeren Mittelfeldspieler
  • Oft kippen Offensivspieler ab, um so rein numerisch einen Vorteil gegenüber dem Gegner zu haben
  • Große Stärke ist die Geduld. Man lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, baut immer wieder neu auf und lockt den Gegner mit Steil-Klatsch-Aktionen

Man merkte dann relativ früh im Spiel, dass Ziehl auch auf diese Basis wieder setzte. Das 3-5-2 ist sehr flexibel und sehr penetrant. Das heißt, dass man mit sehr vielen Spielern in das letzte Drittel verschieben und so dem Gegner die Luft abschnüren kann. Gerade wenn der äußere Mittelfeldspieler sowie der Außenverteidiger hochschoben, bekam die Hintermannschaft des Jahn Probleme. Rabihic, der große offensive Qualitäten aufweist, konnte immer wieder auf Bene Saller andribbeln und dann auch flanken (siehe unten).

Hier sieht man recht schön, dass in diesem Spiel das Zweikampfverhalten an entscheidenden Stellen nicht stimmte. Saller kann mit dieser Körperhaltung nicht gegen den dribbelnden Rabihic ankommen, denn dafür müsste er sich drehen, was in diesem Tempo schlichtweg nicht möglich ist. Der überlaufende Gaus kann, ohne Gegenspieler, durchlaufen und erhält am Ende den Ball. Viet hat zwar beide Spieler im Blickfeld, greift aber nicht ein, so muss Saller beide Gegenspieler verteidigen. Am Ende wurde diese Situation zwar gelöst, aber dennoch stelle ich mir unter aktivem Verteidigen deutlich mehr vor, nämlich ein aktives Suchen des Zweikampfes.

Infolge dieses Angriffes musste Gebhardt glänzend parieren. Gut, einige von euch werden sich nun denken, warum, denn ich schrieb ja, dieser Angriff wurde unterbunden. Das war nur die halbe Wahrheit, so klärte die Jahnelf nur unsauber und durch die kollektive hohe Positionierung konnte Saarbrücken erst nachsetzen und dann wieder in Ballbesitz gelangen. In dieser Unordnung des Jahns kam es dann zu einem Doppelpass, ehe Sontheimer allein vor Gebhardt stand. Für mich zeigt dieses Beispiel dann relativ schön, welchen Matchplan der FCS hatte, so arbeitete Ziehl gerade auf diese schnellen Angriffe nach Ballverlusten des Jahn hin, dafür hat man auch die notwenige Schnelligkeit im Angriff.

Im Kern geht es beim Gegenpressing darum, am Spielfeld extrem hoch zu pressen, um den Ball nach einem Ballverlust sofort zurückzugewinnen. Es zielt darauf ab, das Aufbauspiel des Gegners zu stören und durch schnelles Umschalten Torchancen zu schaffen. Um dies zu erreichen, müssen die Mannschaften kompakt sowie eng stehen, Umstellungen auf den Gegner antizipieren und gemeinsam Druck ausüben, sobald der Ball verloren geht. Wendet man das richtig an, dann kontrolliert man das Spiel und man zermürbt den Gegner. Wie kann man das umgehen? Indem man geduldig bleibt, über mehrere Stationen trotz des Druckes spielt und auch den Ball am Boden lässt. Dies ist dem SSV Jahn nicht gelungen. Gerade die mehrmals angesprochene, kopfballstarke Innenverteidigung der Saarländer entschärfte einige lange Bälle.

Der FCS war nicht gewillt, flach über die Hinterreihe herauszuspielen. Abstöße wurden lang auf die schnellen Stürmer geschlagen, ansonsten suchte man auch schnell den Weg auf die äußeren Mittelfeldspieler, die dann ins Eins-gegen-Eins gingen. Das tat man auch, weil man sich sagte: “Hey, wir können den Jahn mit Gegenpressing, mit Ballgewinnen im Mittelfeld, schlagen und nicht indem wir ihnen ihre Stärke im ‘normalen’ Pressing geben.” Und weil der Jahn immer weiter aufrückte, wurden die Umschaltmomente der Saarbrücker immer gefährlicher und kosteten für den Jahn auch mehr Kraft, da man immer wieder zurücklaufen musste.

Hier ein Beispiel: Der Jahn eigentlich wieder im Ballbesitz, nach einem langen Ball von Paterok. Aber Saarbrücken schob in seinem 3-5-2 wieder sehr gut nach und stellte für Saller die direkten Passoptionen gut zu. Dann wird er nervös und Stehle erkennt den technischen Fehler, gewinnt den Ball und kann schnell umschalten. Regensburg hingegen muss nach dem eigentlichen Ballgewinn plötzlich wieder in den Verteidigungsmodus, um die schnell umschaltenden Saarbrücker zu stoppen. Das kostet Kraft.


Der Blick auf Wiesbaden

Beim SV Wehen Wiesbaden haben sich die Unbekannten gehäuft, so dass es schwierig ist, eine Vorschau wie diese zu schreiben. Erst entließen sie mit Markus Kauczinski einen durchaus bekannten Trainer in der Branche, dann übernahm der “unbekannte” Nils Döring, der nun auch noch aufgrund einer Roten Karte gesperrt ist. Na klasse! Die Kirsche auf der Torte ist dann auch noch, dass ich für die Videoanalyse ausschließlich auf das Spiel gegen St. Pauli über deren Archiv zugreifen kann. Vorhersagen, was in dieser Relegation passieren wird, sind ein schwieriges Unterfangen, aber wagen wir trotzdem mal eine Analyse.

Grober Überblick

In aller erster Linie sind sie, wie gesagt, sehr schwer einzuschätzen, was es auch für Joe und sein Trainerteam nicht gerade einfach macht. Joe hat sich höchstpersönlich das Spiel der Hessen angesehen und liebäugelte sogar mit einer Fahrt in die “BritaArena”. Generell würde ich sie als strukturiert, diszipliniert und kompakt beschreiben, was in bestimmten Spielen durchaus sehr nervenaufreibend werden kann. Das zeigten die Wiesbadener auch in der 2. Bundesliga, man gewann Spiele meist durch die defensive Stabilität. Unter Markus Kauczinski stellte man lange Zeit die drittbeste Abwehr der Liga, welche auf einer 5-4-1-Basis fußte. Hierbei wollte man sehr tief verteidigen und die Räume hinter der eigenen Abwehr so gering wie möglich halten. Das ist mit diesem System naturgemäß durchaus einfach, da du in den Räumen im eigenen Drittel eigentlich alles dicht machst. Hierbei lag der Fokus auf das Zentrum. Da aber die Gefahr, dass einem die Gegner mittels langen Bällen überspielen, hat man sich bewusst in der Kaderplanung auf eine kopfballstarke Innenverteidigung (viertbeste der Liga) mit Vukotic und Mathisen entschied. Hört sich doch eigentlich alles ganz ok an, oder? Naja, diese relativ passive Spielweise wurde dem Trainer dann mit der Zeit zum Verhängnis und seine Mannschaft kam mit diesem ständigen Reagieren nicht mehr klar, dahingehend war man zwar meist auf Augenhöhe, verlor aber nicht wenige Male durch individuelle Fehler nach gegnerischen Druckphasen.

Und nun ist also Nils Döring der Verantwortliche beim SVW. Am Freitag steht wohl aufgrund der Rotsperre Giuliano Modica als “Chef” am Feld, wobei sich bei der grundsätzlichen Herangehensweise wenig ändern wird. Sie haben das System auf ein etwas offensiveres Werk umgestellt, aber die alte Basis ist durchaus noch erkennbar.

Wen sollte man sich merken? Also Ivan Prtajin hat sich bei einigen von euch bestimmt schon eingebrannt, er gab im Durchschnitt am meisten Schüsse in der 2. Bundesliga ab, dazu ist er sehr stark im Passspiel und in der Luft sollte man ihn nicht aus den Augen lassen.

Dazu ist Robin Heußer auch jemand, der Wiesbaden wohl verlassen wird angesichts seiner Klasse, denn er ist im Vorlagengeben sowie im Kreieren von Chancen einer der besten in der Liga gewesen und überzeugt bei Standardsituationen sehr. Mir sagt aber vor allem seine stetige Bissigkeit im Zweikampf gerade im Gegenpressing zu, und wenn du einen Spieler möchtest, der nie die Konzentration verliert, dann ist Heußer wohl der richtige.

Ansonsten: Florian Stritzel ist ein solider mitspielender Torwart, welcher gerade über schnelle Reaktionen kommt. Unerwähnt will ich aber auch nicht lassen, dass er am meisten lange Bälle der Keeper spielte und dabei eine passable Quote hat, was für die Qualität der Pässe und der Annahme von Zielspieler Prtajin spricht.

Schauen wir uns aber nun an, was sie in den verschiedenen Phasen tun.

Agieren mit dem Ball

In der Liga führt der Sportverein die Tabelle tatsächlich in der Ballbesitzverteilung (siehe Grafik zum durchklicken) im eigenen sowie im zweiten Drittel an. Den Ball bis ins letzte Drittel zu bringen ist also für die Mannschaft ein großes Problem. Wieso?

Grundsätzlich muss man erstmal hervorheben, dass es sich hierbei um einen Dreieraufbau handelt, wobei leicht vorgeschoeben zwei Sechser agieren. Davor sieht man eine breitere Linie mit den Flügelspieler sowie den offensiven Mittelfeldspieler und dazu die beiden Stürmer, wobei sich der Partner von Pratjin oft zurückfallen lässt.

Die drei Innenverteidiger verhalten sich nicht sehr risikoreich, sondern eher kompromisslos. So spielen sie mehr sichere Pässe, lange Pässe oder zu den abkippenden Flügelspieler. Auffällig jedoch, dass sie einige Klärungen für sich verzeichnen, wovon Prtajin dann doch einiges macht, die Innenverteidigung führt ihre Rolle also gut aus, man darf aber keine Wunderdinge erwarten.

Auffallend im Aufbau über die IV ist, dass sich Fechner oft tiefer fallen lässt, um so für den Kreativspieler Heußer Räume zu schaffen. Warum? Gegner pressen oft erst beim Pass der Innenverteidiger zu den Sechsern, da sie so Heußer aus dem Spiel nehmen möchten, indem sie sein Aufdrehen verhindern. Steht Fechner tiefer, kann Heußer schneller in Richtung Ball laufen und so Überraschungsmomente ersuchen.

Es ist also definitiv eine Waffe, dass man über diesen Schlüsselspieler nach vorne gelangt. Nicht umsonst hat Heußer die drittmeisten wichtigen Pässe der Liga. Wohlwissend, dass dies Gegner im Laufe der Zeit analysiert haben, versucht man aber durch dieses ruckartige Entgegenkommen (= abkippen), das gegnerische Pressing zu provozieren. Hat der Gegner dann höher geschoben, sucht man den langen Ball hinter die Abwehr auf Prijatin. Hier fällt auch der Ausfall von Jacobsen sehr ins Gewicht, der dieses Offenhalten der Räume, wie es Fechner ausführt, sehr gut beherrschte.

Teils werden auch bewusst ruhige Phasen mit dem Ball eingestreut, da man ja sonst sehr unter Zugzwang steht. Aber das ist nur die Ausnahme, so zieht man im Normalfall den gegnerischen Druck regelrecht an, um dann meist über Stritzel diesen typischen langen Ball zu suchen. Durch das Herauslocken des Gegners kann dies auch durchaus schnell brenzlig für den Gegner werden. In diesen Situationen agiert man aber nicht kopflos, sondern bleibt im Stabilitätsfokus und schiebt mit seinen Reihen sehr bedächtig nach.

Im Allgemeinen ist der Aufbau pragmatisch und sauber, beginnend mit Stritzel im Tor, der dem Ganzen viel Solidität verleiht. Mit den Offensivspielern geht aber durchaus Tempo sowie Dynmaik durch bspw. Rotationen aus, gerade Goppel kann sein hohes Tempo oft mit Dribblings, auch auf engem Raum, gut ausspielen und flankt dann oft auf den Zielspieler.

Hier mal so ein klassischer langer Ball von Stritzel, wobei ich schon zwei der gefährlichen Laufwege einmarkiert habe. Göppel soll im Rücken des Außenverteidigers unbemerkt hinter die Abwehr kommen und Iredale sucht diese kleinen Zwischenräume, wenn Prijatin den Ball weiterleitet. Die beiden markierten zentralen Mittelfeldspieler werden infolge zu kleinen Freigeistern und suchen die Nähe des Balles, um so eine Überzahl zu schaffen.

Diese Überzahl sollen sie auch schaffen, wenn der Ball am Flügel ist. Das ist nämlich ebenfalls ein Zielfeld der Wiesbadener. In diesem Beispiel wird der Ball auf den rechten Flügel zu Goppel gespielt und durch das Schieben auf die ballnahe Seite hast du fünf Spieler im nahen Zugriffsbereich. Damit kann man dann A) den Ball sehr gut zirkulieren lassen und B) den Gegner locken, um ihn dann mittels langen Bällen zu überspielen. St. Pauli konnte in diesen Fällen sehr schnell dem Spieler am Flügel attackieren, was aber vor dem Spiel vorbereitet werden musste, so muss es wohl auch der Jahn angehen.

Hyun-ju Lee als linker Flügelspieler gilt als großes Talent und wirkt, ähnlich wie Bennetts, sehr sicher im Passspiel wie im Dribbling. Dazu können beide sehr gut Räume erkennen, hierbei werden sie aber oft von Mitspieler im Rückraum oder bei Seitenverlagerungen übersehen. Allgemein verpasst man oft, wie in diesem Beispiel, das Kreieren von Dreiecken, da bei einigen Spielern die Übersicht für mehr Variabilität fehlt.

Bekommen sie dann mal doch diesen Raum auf den Flügel, dann sucht man oft Flanken aus dem Halbraum, wo wohl eine Stärke des bereits mehrmals erwähnten Zielspielers liegt. Hierbei läuft man sehr explosiv mit vier Spielern ein – auf den kurzen und langen Pfosten, dabei wird aber auch nicht der Rückraum vergessen und gerade von Heußer geht eine Gefahr durch Weitschüsse aus.

Gewarnt sollte Joe Enochs aber auch von den Standardsituationen sein, denn Wehen Wiesbaden erzielte 25% aller Tore hieraus. Hierbei hat man verschiedene Varianten, wo man versucht, sehr viele Spieler in einem bestimmten Zielraum nach einem Einlaufen zu haben. Da man einige kopfballstarke Spieler hat, wirken Gegner oft schlichtweg von dieser Präsenz überfordert und verlieren schon beim Einlaufen in die Zielzone ihren Mann.

Unterschätzen darf man die Elf von Döring auf keinem Fall, gerade von dem Zielspieler auf der 9 geht eine große Gefahr aus. Man steht nicht in dieser Relegation wegen des scheinbar schlechten Fußballs, sondern gerade wegen der Chancenverwertung, denn nach xG sollte man eigentlich sogar über dem Strich stehen. Aber auch an der Variablität, die in dieser Liga oft entscheidend ist, hätte mehr gefeilt werden müssen.

Agieren gegen den Ball

Wehen Wiesbaden hat pro Spiel am meisten Zweikämpfe in der 2. Liga geführt, wieso? Da man im Pressing bei gegnerischen Abstoß mit einer mannorientierten Variante spielt, das heißt, dass jeder Gegner eine direkte Zuordnung bekommt.

Wie man in diesem Beispiel sieht, bekommt jeder einen direkten Gegenspieler, was dazu führt, dass man sehr viel Druck ausüben kann. Warte…aber was ist denn mit dem Torwart? Ja, dieser wird nicht angelaufen, denn man möchte einen langen Ball auf die kopfballstarke IV provozieren. Nach dem Ballgewinn möchte man dann schnell über die nach hinten geschobenen Flügelspieler (bzw. Flügelverteidiger) umschalten.

Der FC St. Pauli wollte dies umgehen, indem man sehr viele Spieler zwischen den Linien platzierte und sie auch sehr schnell abkippen ließ, um so die Wiesbadener vor Abwägungen zu stellen. Wie in diesem Beispiel, wo sich der Hamburger durch eine schnelle Bewegung in den Raum zwischen den Linien (Balken) von seiner direkten Zuordnung lösen konnte, Wiesbaden fand keine Antwort, es folgte ein Konter.

Grundsätzlich ist es nach Ballverlust so, dass man relativ schnell ins Gegenpressing geht. Man möchte es mit allen Mitteln verhindern, dass der Gegner einem in der Unordnung weh tun kann, so versucht man den Angriffsablauf mit dem Zustellen der Passwege nach vorne zu stören.

Kann sich der Gegner dann doch einmal nach vorne spielen, dann stellt man in ein eher passives 5-3-2 um. Es ändert sich, dass man die Innenverteidiger nicht mehr mannorientiert anläuft, da dies sehr gefährlich ist. Vielmehr versucht man die klassischen Aufbauräume, also den Flügel sowie den Sechserraum, zu decken mit direkten Zuordnungen. Die Stürmer stehen sehr eng und stellen die Sechser zu, die Außenspieler der Wiesbadener sollen den Flügel abdecken. Dabei steht man sehr eng und kompakt, wodurch man ständig von Seite zu Seite oder von hinten nach vorne sich bewegt – was auch sehr viel Kraft kostet.

Auch dies kann man eigentlich nur mit schnellen Bewegungen, wie im obigen Beispiel, in die Räume vor den Linien umgehen oder auch mit schnellen Seitenverlagerungen, da Wiesbaden ja durchaus eng platziert ist. Es bedarf also einiges an Improvisation, gegenläufige Bewegungen, Abkippverhalten uvm., damit man diesen eingespielten Block bricht, aber gerade Viet und Anspach können hier eine Schlüsselrolle einnehmen, denn Wehen hat immer wieder Probleme beim Verteidigen der Spieler hinter dem Stürmer.

Da sie durch die Dreier- bzw. Fünferkette oft sehr viel Raum auf dem Flügel aufweisen, kann hier gerade nach Ballverlusten einiges an Gefahr entstehen. Tempospieler wie Faber oder auch Kother könnten dies nutzen. Und wenn diese Flügelverteidger bzw. Flügelspieler zurück sind, haben sie Schwierigkeiten, sich mit den Innenverteidigern zu koordinieren, diese Momente der Unordnung müssen wir einfach ausnutzen. Ihren Innenverteidigern fehlt es an Schnelligkeit und seitlicher Beweglichkeit, um Läufer zu decken und Spieler sicher aneinander zu übergeben, daher klären sie oft einfach, aber riskant, anstatt ins Laufduell zu gehen. Aus diesen Gründen sind sie nach Ballverlusten besonders anfällig und so aggressiv im Gegenpressing.


So Analyse fertig. Kaum zu glauben, dass wir trotz der letzten Wochen noch diesen beiden Entscheidungsspiele antreten dürfen. Einen enormen Faktor spielten diese Saison immer wieder die Fans, auch in diesen beiden Spielen wird es wieder gewaltig scheppern. Die eigene Mannschaft einfach immer wieder nach vorne peitschen, komme was wolle. Auch wenn das entscheidende Spiel nun auf fremden Platz stattfinden wird, so kann auch ein voller Gästeblock ein Feuer entfachen und der Grundstein schon am Freitag gelegt werden, wenn das Jahnstadion brennt. Und ihr auf dem Feld? Ihr habt viel Kritik einstecken müssen die letzten Wochen, das auch völlig zurecht. Aber ganz ehrlich? Scheißegal jetzt. Nun zählen diese beiden Spiele, es macht jetzt auch keinen Sinn mehr noch zu verlieren. Ratisbona per sempre!