Wir alle wissen um die Wichtigkeit des kommenden Spiels, trotzdem könnten die Vorzeichen nicht ekliger sein: Über 500 Tage in Auswärts-Ligaspielen sieglos, Sonntag 19:30, unfassbare 563 km zu fahren, mit viel Glück eine vierstellige Zuschauerzahl, vermutlich kalt-nasses Nordwetter. Dass sich diese unsägliche Serie bis weit in die aktuelle Saison ziehen würde, hatte niemand gehofft, aber wohl viele vermutet. Nun ist er aber da: Der vermeintlich perfekte Gegner, um den Fluch beizulegen (Foto: Köglmeier)
Ticketpreise im Fadenkreuz
Ein besonderer Vorfall sorgte in den letzten Wochen für Schlagzeilen. In der Nacht vom 29. auf den 30. August brachen VFL Osnabrück Fans in die eigentliche Heimspielstätte des TSV ein, hinterließen Parolen, Statements und einen Sachschaden “der sich auf mehrere Hunderttausend Euro beläuft”, so Havelse. Was war geschehen? Der TSV Havelse trägt regulär seine Heimspiele im Eilenriedestadion, der Heimspielstätte von Hannover 2, aus. Das heimische Stadion in Garbsen erfüllt (noch) nicht die Drittligaanforderungen. Langfristig ist eine Aufstockung auf 5000 Plätze geplant, sowie eine erhöhte Kapazität von Sitzplätzen.
Doch dafür braucht man Geld, vor allem als kleiner Dorfverein, der zur Zeit ein finanziell wenig relevantes Fanaufkommen zu verbuchen hat. Hierfür ist ein Budget von gut 10 Mio. Euro nötig, eine Summe die der TSV bisher nach eigenen Angaben nur zu 2/3 stemmen könnte. Resultat ist eine Erhöhung der Ticketpreise in diesem Jahr und der erneute Umzug nach Hannover. In der letzten Drittligasaison des TSV war die Prozedur des Umzugs in Kombination mit ernüchternden Zuschauerzahlen, trotz Corona, ein Verlustgeschäft.
Aus rein unternehmerischer Sicht macht die angezogene Preispolitik natürlich Sinn. Trotzdem beweist der TSV ausgesprochen wenig Feingefühl in der Kommunikation. Wenn man einen Preis von 17 Euro für ein Auswärtsticket als Jahnfan schon etwas teuer empfindet, verwundert es nicht, dass Osnabrück-Fans von den 20 Euro für ein Ticket mehr als verärgert waren. Nach den Vorfällen fiel eine Aussage ins Auge, wonach Havelse den VfL Fans vergünstigte Tickets angeboten hätte. Die Osnabrücker verneinen dies hingegen.
Ich erlaube mir hier den Kommentar, dass man den Protest gegen Ticketpreise auch anders mit ähnlich erreichter Aufmerksamkeit erreichen kann. Hierfür müssen nicht Räume verwüßtet und technisches Equipment gestohlen werden.
Das sah im Nachhinein auch die Osnabrücker Fanszene so, die in einem Statement das Ziel der organisierten Aktion “völlig verfehlt” sah. Zuvor hatte die VFL Führung die guten Kontakte zur Fanszene in einer Erklärung auf den Prüfstand gesetzt. Die kommenden Wochen werden zeigen, ob es Konsequenzen für einzelne Osnabrücker Fans geben wird. Dass Havelse bis zum Stadionumbau nichts an seiner Ticketpolitik ändern wird, dürfte erwarbar sein.
Viel los also beim kommenden Gegner, wo die Schlagzeilen neben dem Platz leider das sportliche überlagern. Wer sich eingehender mit der Materie beschäftigen will, kann gern in die Podcastfolgen 208 und 210 des Pordcasts “DWIDSwoch” reinhören. Dort wird die kontroverse Thematik um unseren kommenden Gegner nochmal genauer erläutert.
Faktisch wird uns ein Kellerduell zweier Tabellennachbarn erwarten. Der Jahn verzeichnet nach wie vor die durchschnittlich wenigsten Torschüsse pro Spiel mit 3,6, Havelse folgt nicht weiter davor mit 3,9 Torschüssen. Dies ist ein Indikator dafür, dass der Knoten bei beiden Teams noch nicht geplatzt ist. Hierfür sprechen auch die Ballberührungen im gegnerischen 16-Meter Raum: Hier hat der Jahn mit 206 zu 174 zwar die Nase vorn, dafür konnte Havelse insgesamt schon 2 Tore mehr erziehlen. Für den ersten Saisonsieg hat es trotzdem noch nicht gereicht. (Alle Statistiken: FotMob)
Die Lichtblicke der bisherigen Saison hören auf die Namen John Posselt, Emre Aytun und Nassim Boujellab. Letzterer könnte dem ein oder anderen ein Begriff sein, er stand für Schalke in der Bundesliga, Ingolstadt in der zweiten und Bielefeld in der dritten Liga auf dem Platz. Der Offensivmann bringt es mit seiner Erfahrung auf 2 Vorlagen bisher und sticht bislang auch durch seine Körperlichkeit heraus (3 gelbe Karten). John Posselt ist der bisherige Topscorer der Rot-Weißen. Offiziell von Paderborn ausgeliehen, machte er nach 11 Toren in Lübeck letztes Jahr, einen Ligen-Schritt nach vorne und weiß bisher mit 4 Treffern zu überzeugen. Die linke Seite beherrscht Emre Aytun. Der ehemalige türkische U19 Nationalspieler ist auf der linken Außenbahn gesetzt und konnte als einer von wenigen bislang Drittligaklasse an den Tag legen.
Auf der Trainerposition herrscht seit 3 Jahren Konstanz: Nach dem erstmaligen Ausflug in die 3. Liga während Corona entschied man sich für ein langfristiges Projekt mit Trainertalent Samir Ferchichi: Der “Mersad” von Havelse durchlief als Trainer alle Jugendbereiche bis auf die U21 und stieg 2022 zum Cheftrainer auf. Die Konstanz zahlt sich aus, schließlich feierte der 40-Jährige dieses Jahr in der Aufstiegsrelegation gegen Noel Eichingers Lok den verdienten Aufstieg.
Was beim Jahn passierte
Der Jahn nutzte die lange Pause, um die Akkus aufzuladen. Es gab ein Testspiel gegen Dynamo Dresden, welches man deutlich verlor – 1:5, um genau zu sein. Das einzige Tor entstand aus einem Elfmeter. Das macht wenig Mut für das Spiel gegen Havelse.
Umso positiver: Es sind alle Spieler mit an Bord, bis auf Christian Kühlwetter. An dieser Stelle weiterhin gute Besserung! In diesem Zusammenhang verwies der Cheftrainer jedoch direkt darauf, dass sich alle Spieler im Training zeigen müssen, um einen Startelfplatz zu bekommen.
Wimmer, dem sicherlich bewusst ist, dass er nach der Entlassung von Achim Beierlorzer unter Druck steht, schärfte der Mannschaft direkt nach dem Spiel in Saarbrücken die Wichtigkeit der kommenden Partie ein. Die Themen der Trainingswoche waren wohl die üblichen: defensive Kompaktheit, Standards und die Entscheidungsfindung im letzten Drittel.
Auf Nachfrage eines Fans gab Wimmer auch zu, dass einige – nicht alle – Basics noch nicht sitzen. Auch er als Trainer sei absolut unzufrieden.
Wir bekommen die Trainingsleistung nicht auf den Platz. Von daher messe ich mich auch selbst an dem was aktuell passiert und das ist zu wenig”
Michael Wimmer im Jahntalk
Auf Nachfrage sagte der Coach auch, dass er das Problem nicht in der 3-er Kette an sich sieht oder im System sondern in anderen Dingen. Spezifischer ging er nicht darauf ein.
Mit Havelse erwartet er eine unangenehme Mannschaft die sehr gute Standards hat und sehr schnell umschaltet im Ballbesitz. Die Mannschaft weiß worum es geht.”
Die Mittelbayerische Zeitung war im Pressegespräch dabei. Dort wurde angemerkt das der ein oder andere Spieler wohl noch wachgerüttelt werden müsse. Hier wurde der Jahncoach durchaus deutlich: “Ich habe die Woche Spieler erlebt die den Gong nich nicht gehört haben. Die also nicht wissen um was es geht, und für die passt es dann auch mal, dass wir nun die Qual der Wahl haben”. Um eine Antwort zu finden wieso sie den Gong nicht gehört haben muss man die Spieler selbst fragen.
Am Ende merkt man deutlich den Druck den alle beteiligten mit sich tragen. Und vor allem die Hoffnung das endlich diese Serie reißt. Forza SSV.