Seit zweieinhalb Wochen ist es offiziell: Der SSV Jahn Regensburg hat mit Michael Wimmer einen neuen Cheftrainer. Ein Ostbayer für Ostbayern – voller Energie und mit großer Motivation startet Wimmer in seine neue Aufgabe bei unserem Herzensverein.
Flo von Der-Jahn-Blog hat den neuen Coach getroffen und mit ihm über seine private Situation, seine Rückkehr in die Heimat, den Jahn und viele weitere Themen gesprochen.
Viel Freude beim Lesen!
Frage: Musstest du dich nach deiner Zeit in Schottland wieder an die Umgebung gewöhnen?
Antwort: In Schottland war ich auch nur vier Monate lang. Dort war ich mit drei großen Koffern unterwegs, in denen alle Klamotten und vor allem einige Jacken drin waren (schmunzelt). Dort ist es ein bisschen kälter, und es regnet häufiger. Mit den drei Koffern bin ich zurück nach Dingolfing. In Schottland ist alles abgeschlossen.
Frage: Schottland ist ja für viele auch ein beliebtes Reiseziel. Wie hast du das Land wahrgenommen? Gibt es irgendeinen Geheimtipp, den du empfehlen kannst?
Antwort: Zum einen kann ich bestätigen: Es ist ein sehr schönes Land. Die Highlands sind natürlich super. Dort ist alles sehr ländlich geprägt. Ich wollte natürlich auch Loch Ness sehen. Dafür hat leider die Zeit nicht gereicht. Edinburgh ist zum Beispiel eine traumhafte Stadt, die so ein bisschen den Harry-Potter-Style ausstrahlt. Und in Stirling ist eine Burg, auf der Braveheart gedreht wurde. Das ist nicht das Sonnenland zum Braunwerden, aber wenn du landschaftlich und kulturell etwas erleben willst, dann ist es mit Sicherheit ein sehenswertes Land.
Dort leben sehr sympathische, bodenständige und demütige Leute. In Schottland gibt es keinen Neid. In Deutschland habe ich den Eindruck, dass viel mehr Menschen neidisch auf andere Menschen sind. Das gibt es dort nicht. Neben sicherlich mehreren Gründen ist Hauptfaktor, dass alle in der Schule Schuluniformen tragen. Somit trägt keiner Markenklamotten, weil durch die Kleidung alles gleich wirkt. Ich denke, dass du durch diese Erziehung und dieses Verständnis nicht mit dem Finger auf andere deutest. Es vermittelt eine gewisse Bescheidenheit.
Frage: Was verbindest du mit dem schottischen Fußball? Vor allem beim Glasgow-Derby brennt ja regelmäßig die Stadt.
Antwort: Die Fußballspiele dort sind aufgrund der Leidenschaft natürlich herausragend. Die Stadien sind, wie früher im alten Jahnstadion an der Prüfeninger Straße, mitten in der Stadt. Daneben befinden sich Metzger, Bäcker und die Kneipen. In Glasgow-Derby zwischen Celtic und den Rangers war ich zu Gast. Es wird auch Old Firm genannt, weil es das älteste Derby Europas ist. Es war sensationell. Das war auch das einzige Spiel in Schottland, wo es ein Polizeiaufgebot gab. Normalerweise hast du in allen Spielen sehr wenig bis hin zu gar keiner Polizei, weil die Spiele wirklich friedlich ausgetragen werden.
Dann gibt es noch das Derby Dundee United gegen Dundee FC. Die Mannschaften fetzen sich während des Spiels auf dem Platz und auf den Rängen besingen sich die Fans in erster Linie gegenseitig lautstark und mit Wucht. Nach dem Spiel bin ich aus dem Stadion raus, habe in eine Kneipe geschaut, und dann sitzen da wirklich Fans mit einem blauen Schal neben einem Fan mit einem orangen Schal (Blau = Dundee FC, Orange = Dundee United, Anm. d. Red.), und sie trinken gemeinsam. Bei diesem Derby gibt es keine Polizeipräsenz.
Frage: Wie würdest du den Fußball in Schottland beschreiben?
Antwort: Das ist dort ehrlicher Fußball. Du wirst gefoult, du stehst gleich wieder auf. Wenn du in der Mannschaft eine Gehirnerschütterung oder eine Kopfverletzung hast, erhältst du einen zusätzlichen Wechselslot. Bei unserem Spiel mit Motherwell gegen St. Mirren habe ich noch nie so viele Kopfverletzungen in meinem ganzen Leben gesehen. Bei einer Spieldauer von 115 Minuten bekamen beide Teams einen weiteren Wechselslot.
Frage: Uns ist aufgefallen, dass bei deinem Instagram-Account auch ein gewisser Olli Hein in den Followern auftaucht, ebenfalls gebürtiger Dingolfinger. Gab es schon vorher Kontakt zwischen euch?
Antwort: Ich kenne Oli schon, aber wir haben tatsächlich fußballerisch nie Berührungspunkte gehabt. Als er in Dingolfing war, war ich schon bei Fürth. Als ich wieder nach Dingolfing bin, war er wiederum beim Jahn. Natürlich kennen wir uns, weil wir jetzt beide Dingolfinger sind, aber Berührungspunkte haben wir nicht direkt gehabt. Mit Wastl Nachreiner allerdings schon, weil ich mit ihm in Dingolfing in der ersten Mannschaft gespielt habe.
Frage: Hat er jetzt auch eine Rolle gespielt beim Einstellungsprozess bezüglich deiner Position?
Antwort: Natürlich haben wir einmal gesprochen, natürlich auch über den Jahn. Ich war ja auch in der Vorrunde, während ich vereinslos war, bei sehr vielen Spielen im Jahnstadion Regensburg und habe die Heimspiele gesehen. Dann habe ich gelesen, dass ich ein Kandidat für den Trainerposten wäre. Aber ich bin einfach fußballverrückt, und wenn ein Zweitligaspiel 45 Minuten vor meiner Haustür ist: Warum soll ich nicht hinfahren und mir das Spiel anschauen? In diesem Zusammenhang habe ich auch Oli getroffen. Schlussendlich liefen der Prozess und die Gespräche aber komplett über Achim, zudem habe ich mich bei den Gremien vorgestellt. Oli war als Vorstandsvorsitzender natürlich auch dabei.
Frage: Wie kann man sich den Einstellungsprozess vorstellen? Wurdest du kontaktiert oder hast du dich selbst angeboten?
Antwort: Ich habe mich nicht persönlich gemeldet. Ich hatte einen Arbeitsvertrag bei meinem Arbeitgeber, das war der FC Motherwell. Es steht mir nicht zu, dass ich mich persönlich bei Vereinen melde. Aber das würde ich auch nicht wollen. Wenn ich angestellt bin, gehören mein Herzblut und meine ganze Konzentration diesem Verein. Es ist bekannt geworden, dass ich mich abseits der sportlichen Situation auf familiärer Ebene nicht so wohlgefühlt habe in Schottland. Die Distanz zur Familie hat nicht zu 100% gepasst . Außerdem war auch die Doppelfunktion Sportdirektor und Trainer nicht optimal.
Ich bin derjenige, der 70, 80% der Zeit auf dem Rasen verbringen und nicht im Büro sitzen möchte. Durch die Doppelfunktion habe ich mehr Zeit am Computer verbracht. Dann kam der Anruf vom Achim, und der Prozess ist gestartet: Man lernt sich kennen, man tauscht sich aus. Wichtig war, dass die Werte und gemeinsame Identität zueinander passen. Auch aufgrund meiner Herkunft und der Nähe zu Regensburg würde ich behaupten, dass ich die Werte Demut, Bodenständigkeit, Glaubwürdigkeit und auch Ambition lebe. Abschließend muss man sehen, ob die Fußballidee zueinander passt, und das hat definitiv auch gematched.
Frage: Ist dir der FC Motherwell bei deiner Entscheidung entgegengekommen?
Antwort: Es ist fair abgelaufen. Ich habe anfangs mit Motherwell abgesprochen, dass wir eine Lösung finden würden, wenn ich mich nicht so wohlfühle oder familiär etwas sein sollte. Ich hatte eine Mannschaft übernommen, die sich im freien Fall befand. Vor meiner Zeit hatten sie acht Spiele lang keinen Sieg geholt. Schließlich haben wir vier Spieltage vor Schluss die Liga gehalten und unter anderem gegen die Rangers gewonnen. Das war historisch. Das gelang ihnen bisher erst sieben Mal in der Geschichte. 49 Punkte sind eine Punktzahl, die der Klub auch ganz selten erreicht hat. Es war eine sehr erfolgreiche Zeit, aber neben dem Sport gibt es halt andere Facetten, die ich gerade aufgezählt habe, und die sind dann teilweise auch mal wichtiger als Fußball.
Frage: Großes Thema: Mannschaft. Sehr viele Spieler wurden ja verabschiedet. Laufen da mit einigen – gerade zum Beispiel den ehemaligen Jahnschmiede-Talenten Bauer und Meyer – aktuell Gespräche?
Antwort: Ich selber habe nun auch mit allen Spielern noch einmal gesprochen. Wir werden sehen, inwiefern hier neue Lösungen gefunden werden können. Ich bin auf jeden Fall seit meiner Vorstellung intensiv in die Planung involviert. Wir arbeiten hinter den Kulissen fleißig und werden bald Neuzugänge verkünden. Wir wollen Spieler hier in Regensburg haben, die unbedingt für den Jahn spielen wollen, die die Aufgabe zu 100% annehmen.
Frage: Wo siehst du aktuell am meisten Handlungsbedarf?
Antwort: Wir wollen mit hoher Intensität Fußball spielen, nach vorne orientiert. Wir schauen gerade im Detail darauf, wo genau wir uns auf den einzelnen Positionen und in den einzelnen Spielphasen verstärken können – auch mit Spielern, die eine gewisse Führungsqualität mitbringen. Zeitgleich wollen wir aber auch junge Spieler entwickeln und besser machen.
Frage: Hast du dementsprechend schon Austausch mit dem NLZ?
Antwort: Definitiv, wir wollen einige Nachwuchsspieler auch mit ins Trainingslager nehmen.
Frage: Wirdt du den Resetknopf drücken oder grundlegende Strukturen (bei der Aufstellung) erstmal in die neue Saison mitnehmen?
Antwort: Persönlich bin ich ein Fan von Dreier- beziehungsweise Fünferketten, aber die Formation muss zur Mannschaft, zum Spiel und zur Idee passen. Ich bin ein Verfechter des 3-4-3, aber wir wollen und werden variabel sein.
Frage: Hättest du dir früher schon vorstellen können, beim Jahn zu arbeiten?
Antwort: Natürlich war ich früher schon im alten Jahnstadion in der Prüfeninger Straße. Man hat auch darüber gesprochen oder sich vorgestellt, dort einmal Trainer zu sein, weil man sich in der Region und bei den Menschen heimisch fühlt. Mit dem Jahn einen ambitionierten Traditionsverein mit tollen Fans zu trainieren, war immer eine Option für mich – bisher hatte es sich aber noch nie ergeben.
Frage: Verbindest du ein besonderes Erlebnis mit dem alten Jahnstadion? Das alte Jahnstadion hatte ja durchaus Charme.
Antwort: Eines meiner ersten Spiele im Jahnstadion war in der 1999/2000 ein Aufstiegsspiel gegen den FSV Frankfurt. Das Stadion war voll, die Stimmung super – man dachte, gleich brechen die Zäune (lacht). Nirgendwo hat man einen Parkplatz bekommen. Das war Wahnsinn. Du dachtest, das Stadion explodiert gleich. Das war in meiner Erinnerung irre. Später, als Markus Weinzierl dann Trainer war, war ich auch öfter im Jahnstadion. Und ich denke natürlich gerne an die Knacker in der Semmel zurück, die es im Stadion immer gab (lacht).
Frage: Etwas, was mich an den Jahn herangeführt hat, war dieses Familiäre…
Antwort: Das ist auch etwas, was ich mag und mir wichtig ist. Ich bin auch oft bei mir zu Hause beim FC Dingolfing – wir spielen jetzt Landesliga – und wenn die ein Entscheidungsspiel haben und jemanden für den Kiosk brauchen, dann übernehme ich das gerne. Das macht mir nichts aus, ich lebe das.
Frage: Wie hast du denn die Entwicklung vom Jahn verfolgen können? War der Jahn für dich immer ein Thema gewesen oder warst du einfach aus der Region weg?
Antwort: Absolut. Ich war ja immer wieder zu Hause, und wenn man zu Hause eine Zeitung aufschlägt, liest man viel über Jahn Regensburg, weil es heimatnah ist. Es interessiert mich immer, und mit anderen Mannschaften als Co hatte ich auch immer wieder die ein oder andere Verbindung. Daher habe ich diese Entwicklung komplett verfolgt.
Etwas, was mich am Jahn und dem neuen Stadion begeistert hat, war folgendes Erlebnis: Wir waren 2019 in der 2. Bundesliga mit Stuttgart hier und haben kurz vor Schluss knapp mit 2:1 geführt, und ich habe zu unserem Torwarttrainer gesagt: „Die sollen das Spiel abpfeifen. Das ist ja Wahnsinn.“ Du hattest solch eine Atmosphäre, solch eine Emotion und solch eine Energie in dem Stadion gespürt, dass du nicht gewusst hast: Wie geht das jetzt aus? Dann fiel zunächst das 3:1 für uns, aber der Jahn hat in der Nachspielzeit wiederum das 3:2 zum Anschluss erzielt, und wir auf der Bank nur so: „Bitte, pfeif das Spiel endlich ab.“
Nach dem Spiel habe ich zu meinem Vater gesagt: Wenn ich mal den Fußballlehrer hätte, wäre das schon eine coole Station. Ich hatte Respekt vor der Wucht der Hans Jakob Tribüne. Ich freue mich deswegen sehr auf mein erstes Heimspiel im Jahnstadion Regensburg.
Frage: Würde man dich mit der Aussage konfrontieren „Mit Michi Wimmer holen wir einen gestandenen Trainer statt eines jungen Wilden“, was würdest du entgegensetzen?
Antwort: Natürlich habe ich bereits Erfahrung, bin seit 2017 im Profibereich als Trainer und war im Ausland – in Wien und Schottland. Zeitgleich brenne ich an der Außenlinie, möchte Intensität vorleben. Deswegen entscheide ich mich für beides.
Frage: Der Jahn-Fußball scheint vom Spielstil von RB Leipzig geprägt zu sein. Wie stehst du dazu?
Antwort: Meiner Meinung nach ist das etwas zu verworren und zu einfach dargestellt. Alle Mannschaften, die versuchen zu pressen, werden schnell mit RB Leipzig verglichen, das ist in Österreich genau auch so. Dort kopierst du dann RB Salzburg. Der Jahn hat eine eigene Identität, die sicherlich von mehreren Spielstilen geprägt ist. Ich finde es optimal, intensiven Fußball zu spielen, frühes Pressing und hohe Ballgewinne zu generieren. Im eigenen Ballbesitz können und werden wir uns entwickeln – im Fußball gibt es keinen Stillstand. Wir müssen uns fortwährend verändern und verbessern.
Frage: Wie kann ein Besuch im Jahnstadion wieder Spaß machen?
Antwort: Es geht in erster Linie um eine ehrliche, intensive Arbeit. Die Fans sollen merken, dass auf dem Platz eine Mannschaft steht, die alles für den Verein gibt.
