Der richtige Gegner zur richtigen Zeit

Mit einem Doppelpack von Christian Viet meldet sich der SSV Jahn nach einer Niederlage in Dortmund im Aufstiegsrennen souverän zurück, gleichzeitig schießt man Arminia Bielefeld in eine noch tiefere Krise. (Foto: Gatzka)

Vorgeplänkel

Wenige Tage nach der Niederlage in Dortmund fragte man sich, ob Joe Enochs vielleicht doch große Rotationen im Spiel gegen die Arminen aus Bielefeld anbringt, aber falsch gedacht, er wechselte lediglich Schönfelder sowie Ballas für Anspach und Ziegele in die Startelf. Somit lief die Jahnelf wie gewohnt nominell in einem 4-2-3-1 auf, wobei es sich eigentlich durch das Hochschieben von Viet mehr in ein 4-2-2-2 einpendelte.

Bei Bielefeld sieht die Sache schon anders aus, dort wechselte man nach der sehr enttäuschenden Niederlage in Ulm auf drei Positionen, so brachte man den kopfballstarken Klos ins Spiel, welcher gerade beim Fokus auf lange Bälle punkten sollte. Auch Boujellab rückte für Sam Schreck in die Partie, dazu Corboz, welcher den Bielefeldern gerade in Sachen Spielkontrolle helfen soll. Er kam im Winter vom SC Verl an die Alm und stand für Mizuta in der Startaufstellung. Systematisch sah es anfangs noch nach einem 4-1-2-3 aus, allerdings wurde es gerade am Ende der Partie zu einem 4-1-4-1, was die Präsenz im letzten Drittel erhöhen sollte.

Spielbericht: 1. Halbzeit

In der Anfangsphase der Partie fiel das normale „Abtasten“ aus, es wurde schon in der 2. Minute brenzlig: Nach einer gegenläufigen Bewegung kann sich bei einem langen Einwurf von Bene Saller Christian Viet von seinem Gegenspieler Wörl lösen. Obwohl der Ball zu lang gerät, leitet ihn Oscar Schönfelder, der am schnellsten reagiert, direkt wieder zu Viet weiter, welcher erst per Hacke Großer aussteigen lässt und dann unhaltbar ins Tor einschießt. Eine Situation, die aufzeigt, wie taktisch klug auch die Mannschaft in Situationen agieren kann, denn die gegenläufige Bewegung öffnet den entscheidenden Raum.

Danach flachte die Partie aber dann doch wieder ab, die Bielefelder hatten bis auf eine individuelle Aktion (6.) von Momuluh, die aber keine Gefahr darstellte, nicht viel mehr in dieser Anfangsphase zu bieten. Der Flügelspieler zeigte aber schon ganz klar, wieso auch der Jahn an ihm interessiert war, immer wieder gelangte er mit seiner technischen Klasse und seinem athletischen Niveau hinter die Regensburger Abwehrreihe und ließ nicht wenige Male Bene Saller aussteigen.

Aber irgendwie hatte die Arminia gerade zu dieser wichtigen Zeit im Spiel nicht mehr zu bieten, auch weil der SSV Jahn genau in die Schwachstellen stieß, wo es dem Gegner weh tat. So liefen Ganaus und Viet die Innenverteidiger eher konservativ an, sobald diese aber in die zweite Reihe, also an die Außenverteidiger oder defensiven Mittelfeldspieler, spielten, wurden sie unglaublich explosiv angepresst. Schön, werden sich einige Leser denken, aber was hat uns das gebracht? Um das zu erkennen, muss man den Spielaufbau der Bielefelder näher erläutern: Grob gesagt geht es darum, dass die Außenverteidiger oder die Sechser den Ball schnell nach vorne über das zentrale Mittelfeld hinter die Abwehrreihe des Gegners bringen. Kappt man aber schon die Verbindung des Innenverteidigers zum Außenverteidiger, so fehlt oft die Variabilität und es läuft auf lange Bälle in Richtung des Zielspielers hinaus, diese wollte die Jahnelf unterbinden, indem Ballas sowie Breunig so aggressiv in den Luftzweikampf herausrückten, dass Klos zumindest keine Kontrolle erlangen konnte.

Auch das 1:0 entsteht aus einem Einwurf nach einer erfolgreichen Pressingphase, wo Kersken nur noch der Befreiungsschlag ins Aus übrig blieb. Wie ich schon einmal schrieb: Intensität ist unsere Identität, sie bestimmt über Erfolg und Misserfolg. Überspielte Bielefeld dann doch mal das Pressing, was man einfach nicht im Laufe der Partie unterbinden kann, so verfiel der Jahn in einen geordneten tiefen Block. Eigentlich reagiert man aus diesem System heraus, aber die Jahnelf konnte sich aus der Struktur immer wieder durch Aktionen lösen und dann Konter fahren.

Aber nicht nur beim 1:0 wird Kersken entscheidend gestört, auch beim 2:0 wurde der Torwart aggressiv angelaufen. In der 22. Minute wollte er den Spielaufbau beruhigen und eine Seitenverlagerung einleiten. Aber Kersken unterschätzte das Anlaufen von Viet, legte sich den Ball zu weit vor und verlor dann den Ball, was gleichbedeutend mit dem 2:0-Rückstand für seine Mannschaft war. Die Mannschaft von Kniat war in diesem wichtigen Spiel noch nicht wach, obwohl man bereits in Rückstand lag. Auch die mentale Verfassung wirkte zu keinem Zeitpunkt der Partie so, als könnte noch was gehen. Ob da nicht mehr begraben liegt? Es wirkte zumindest, als würden sie so fest an das denken, was man verlieren könnte, und dabei das Hier und Jetzt sowie den Fokus bzw. die Konzentration vergessen, so wie Kersken in dieser Szene.

Daraufhin hatte Bielefeld seine Momente, das Überladen der Flügel gelang zeitweise deutlich besser als in der ersten halben Stunde. Wieso? Weil man umstellte und der SSV Jahn zuerst eine Lösung dafür finden musste. Corboz und Boujellab rückten in den Sechserraum, dafür ließ sich Wörl zeitweise zwischen die Innenverteidiger fallen. Das war insofern problematisch, da man so eine Überzahlsituation generieren und Regensburg teils über mehrere Stationen überspielen konnte. Auch der Raum zwischen Bulic und Geipl war teils zu groß, weswegen dort Vorstöße möglich waren.

Doch auf den „Pressingsturm“ fand der Jahn relativ schnell eine Antwort, so stand man asymetrisch im Pressing, weswegen man einen Spieler isolieren (den Passweg zustellen) konnte, aber gleichzeitig reagieren konnte, wenn der eigentliche Gegenspieler angespielt wurde. Gerade Corboz wurde so isoliert und weitgehend aus dem Spiel genommen.

In Minute 33 konnte sich aber Wörl in eben so einer Situation lösen. Da Ganaus und Kother den Zweikampf verloren, wurde der Raum zwischen Bulic und Geipl zum Verhängnis. Und Wörl konnte Corboz einsetzen und mit Momuluh sowie Lannert die rechte Seite überladen. Nach einer flachen Hereingabe des Ex-Hannoveraners verfehlte Bulic den Ball, aber Corboz konnte diese Einladung nicht annehmen, da Weidinger einmal mehr solide parierte. Eine Situation, die sinnbildich für das Spiel des DSC steht: Man hat seine Chancen, kann sogar seine Überladung auf den Flügel ausspielen, aber oft ist der letzte Pass oder der Abschluss nur mangelhaft.

Eine ähnliche Situation ereignete sich nur 8 Minuten später, erneut verlor der Jahn durch fehlenden Zugriff einen Ball, aus dem daraus folgenden Einwurf reagierte Bielefeld schneller als der SSV Jahn, wodurch sich Momuluh einmal mehr in einer 1 gegen 1 Situation gegen Saller befand. Nach einem Haken hob der Flügelspieler ab. Ob das ein Elfmeter war, halte ich für fraglich, wobei man schon sagen muss, dass bei Dominik Kother in Dortmund bei einer ähnlichen Szene auf Schwalbe entschieden worden war. Passend zum Spiel vergab aber Nassim Boujellab den Elfmeter und konnte den Anschluss nicht herstellen. Für die Jahnelf ein mentaler Schub, ganz nach dem Motto „uns kann heute niemand stoppen“, aber für Bielefeld genau das Gegenteil.

So endete dann die 1. Halbzeit mit einer komfortablen Führung und einer sehr guten Leistung, wobei die Bielefelder gegen Ende der 45 Minuten zunehmend mehr Lösungen fanden, aber die endgültige Antwort blieb immer aus.

Spielbericht: 2. Halbzeit

Bielefeld versuchte dann das Momentum irgendwie auf seine Seite zu bringen, indem man alles um 180 Grad drehte. So brachte man Özkan für Lannert, Mizuta für Biankadi und Gohlke für Schneider. Man stellte auf ein 4-2-4 um, welches sich aber als sehr dynamisches Konstrukt erwies und eigentlich in der Normalform nie so am Platz zu sehen war. Auch Enochs tauschte, er brachte Hein für Schönfelder.

Insgesamt war dann der Fokus des DSC mehr auf lange Bälle, auch die Präsenz im letzten Drittel wurde deutlich erhöht und man versuchte den Spielaufbau höher zu gestalten.

Die erste Chance gehörte aber dennoch den Hausherren, nach einer Ecke von Geipl konnte Christian Viet am kurzen Pfosten den Ball in Richtung Tor köpfen, aber Kersken parierte (53.). Kurz darauf nutzte der SSV Jahn aber die sehr offensive Ausrichtung des Gegners aus und konterte: Nach einem Fehlpass von Özkan konnte Rasim Bulic nach einer Ping-Pong-Situation einen langen Ball in Richtung Noah Ganaus schlagen, welcher auf Dominik Kother quer legte, aber dann an Kersken scheiterte. Arminia Bielefeld musste nun mehr tun, konnte auch mehr Druck erzeugen, aber sie spielten mit dem Feuer. Einmal verhinderte nur ein schnelles Zurückrücken in einen tiefen Block, dass zwei Spieler des Jahn ungehindert auf den Torwart zuliefen. Diese Situationen sind nicht nur unglaublich gefährlich, sondern kosten auch sehr viel Kraft.

Auch tiefe Läufe wurden durch die Umstellung immer mehr möglich, da man durch die offensive Positionierung der Flügelspieler so viel Raum auf den Flügeln herschenkte. Insgesamt schob die Abwehrreihe zu wenig nach, weswegen die Räume zwischen den Linien zu groß waren und man auch keine Spielkontrolle mit dem Ball erlangen konnte. Sobald der Ball verloren wurde, konnte sich Regensburg sehr schnell aus dem Druck lösen, da das Gegenpressing durch die zu großen Abstände zu wenig intensiv war.

Durch die Umstellung konnte aber Corboz mehr an Freiheit gewinnen, weswegen auch Bene Saller sich mehr zentral orientierte, was wiederum zur Folge hatte, dass Momuluh mehr Raum zur Verfügung stand, wodurch er natürlich mit seiner Technik agieren und durch den Zeitvorteil mehr Zweikämpfe gegen Bene gewinnen konnte – mit die einzige Entwicklung, die die Dynamik mehr auf die Seite von Arminia Bielefeld brachte.

Allerdings war es von der Arminia gegen den Ball deutlich zu wenig. Durch zu große Abstände, vor allem von den Flügelspielern zu den Außenverteidigern, konnte der Jahn oft problemlos über mehrere Stationen oder durch lange Bälle zwischen den Linien aufbauen. So auch in der 74. Minute, wo Kother die Seite zu Hein wechselte, welcher dann Ganaus einsetzte, der trotz einer Abseitsstellung und den Pfiff des Schiedsrichters den Ball ins Tor unterbrachte. Eine Szene, die man sehr oft in einem Spiel sieht. Das Problem war nur, dass Ganaus schon eine gelbe Karte hatte und so vom Platz flog.

Infolge der Unterzahl zog sich der Jahn zurück, agierte in einem 3-4-1-1. Bielefeld hatte daraufhin noch mehr Ballbesitz, aber man fand durch das Zustellen der Passwege durch die Jahnelf einfach keinen Zugang in das letzte Drittel und fand man ihn doch, so scheiterte man an der fehlenden Präzision und Kreativität.

Ich finde, man kann Spiele immer am Gegenpressing erzählen: Während der SSV Jahn wirklich bei jeder Kleinigkeit sofort wach war, immer im Kollektiv nachsetzen konnte, stimmten bei Bielefeld weder die Abstimmung noch die Abstände im System. Arminia Bielefeld möchte den Gegner vor Fragen über seine Spielphilosophie stellen. Gibt der Gegner aber eine Antwort, so ist man damit überfordert. Man scheitert sozusagen an seinen eigenen Prinzipien. Insgesamt war es der perfekte Wiedergutmacher für die Jahnelf nach einer eher schlechten Partie in Dortmund – gleichwohl bedeutet das aber auch, dass es wohl nicht mehr einfacher wird.

MVP des Spieltags: Christian Viet

Er war der Dreh- und Angelpunkt im Offensivspiel des SSV Jahn gegen Arminia Bielefeld. Mit einem technisch hervorragenden Tor sowie einem Treffer aus dem Pressing spielt er sich wieder ins Blickfeld vieler Jahnfans. Oft in dieser Saison auf soliden bis guten Niveau – heute wieder Spitzenklasse.

Viet harmonierte mit Geipl, Bulic und auch Ganaus sowie den Flügelspielern und konnte sie so in Szene setzen und gesetzt werden. Er gewann viele Duelle und zeigte sich besonders zweikampfstark im Vergleich zu anderen Spielen in dieser Saison.

Fast schon so, als habe er wieder mehr an Selbstvertrauen gewonnen – er könnte auch gegen ein mit der Defensive haderndes Duisburg wieder „wirbeln“ und zu einem Schlüsselspieler avancieren – seine Leistung macht Lust auf mehr.

Enttäuschung des Spieltags: Noah Ganaus

Ich bin ein großer Fan von Noah Ganaus, eigentlich. Aber einige Probleme im technischen Bereich sowie im Stellungsspiel inklusive der gelb-roten Karte machen ihn bei einer sehr guten Mannschaftsleistung dann doch irgendwie zu einer Enttäuschung des Spieles.

Dennoch gehört das alles zum Prozess dazu – dieses Lernen, natürlich vor allem durch Fehler. Oft fehlte ihm die Anbindung, wenn er sich zurückfallen ließ, oder er wählte die falsche Entscheidung. Aber vielleicht tut ihm diese Zwangspause dann doch ganz gut, denn auch er wirkt aktuell etwas am Limit.

Noah Ganaus kann in den nächsten Jahren zu einem Unterschiedsspieler in der 3. Liga, ja vielleicht sogar höher, reifen, aber er braucht Zeit, Vertrauen und die Freiheit, dass er eben auch Fehler machen darf.

Stimmen

Andi Geipl über den Sieg: „Es war ein Willenssieg. Ich glaube, dass wir ab Minute 1 alles dafür getan haben, um das Spiel auf unsere Seite zu ziehen. Gehen relativ früh zum Glück in Führung, haben mit dem 2:0 dann für Entlastung sorgen können und das Gute war, dass wir weitergemacht haben und weiter Druck gemacht haben. (…) Wir wollten das schnelle Gegentor nach der Halbzeit verhindern. (…) Balla war heute auch super wichtig in der Luft.”

Andi Geipl über das Spiel in Unterzahl: „Die gelb-rote Karte war unnötig. Nichtsdestoweniger mache ich da Noah keinen Vorwurf, denn er sagt, dass er den Pfiff nicht gehört hatte und dazu hat er vielleicht vergessen, dass er schon gelb hat, weil Ballwegschießen ist eben dann noch mal eine gelbe Karte. Da sind die Schiedsrichter in dieser Liga rigoros.”

Christian Viet über die Rückkehr nach einer Niederlage: „Ja, gerade nach dieser Niederlage war es wichtig, dass wir wieder unbedingt gewinnen wollen. Ich glaube, dass uns Bielefeld als Gegner besser lag und auch insgesamt hat es besser gestimmt, waren wieder kontrollierter, auch wenn wir viel gegen den Ball gespielt haben, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass die extrem zwingend waren.”

Alex Weidinger über das Selbstvertrauen: „Das Selbstbewusstsein ist natürlich da, aber man darf nicht leichtsinnig werden, es geht bei jedem Spiel bei 0 los. Man kommt aber besser in den Spielrhythmus rein und man darf da nichts auf die leichte Schulter nehmen.”

Alex Weidinger über einen möglichen Neuzugang: „Das ist nicht meine Entscheidung, die sollen es machen, wie sie es meinen. Ich kümmere mich um meinen Job, wenn ich im Tor stehe, dann gebe ich Vollgas. Und wenn die jemanden holen, dann holen die halt jemanden. (…) Wenn wir uns nicht verletzen, dann sehe ich überhaupt keinen Grund, dass wir noch einen Torwart holen.”

Schlüsselstatistiken zum Spiel
NameSSV JahnArminia Bielefeld
Ballbesitz39%61%
Torschüsse44
Torschüsse – daneben37
Fouls1216
Ecken58
Abseits10