Am Rande der Ausgeglichenheit

Bei einem Unentschieden wollen immer alle mehr. Jedoch ist es nun so, dass eine Mannschaft immer als etwas glücklicher gilt. In diesem Fall war es nicht so – Glück und Unglück lagen so nah zusammen, dass man am Ende wohl doch von einem gerechten Unentschieden für beide Seiten sprechen muss. Es war aber ein weiterer Nachmittag, der die spielerische Klasse von beiden Teams zeigte, eine Kampfansage an die Konkurrenten. (Foto: Jan Hetfleisch/Getty Images for DFB via Onefootball)

Vorgeplänkel

So eine richtige Einschätzung vor der Partie hatte ich auch nicht, musste bei der Gegneranalyse aber feststellen, dass sich die „Befürchtungen“ der letzten Monate weiter verfestigen: Mit dem SC Verl wächst nicht nur ein Konkurrent für diese Saison, sondern wird auch langfristig keine kleine Rolle spielen. Das zeigte sich auch schon im Vorfeld der Partie, so konnte man die Abgänge von Batista-Meier bzw. Corboz mit zwar nicht gleichen Spielertypen kompensieren, aber vor allem mit Taz fand man eine spielstarke Lösung für die Sechs, der auch bereits genug Erfahrung in der 3. Liga aufweisen kann. So nahm Ende dazu Lokotsch, Paetow und Müller für Benger, Pernot sowie Unbehaun in die Startelf. Gerade Unbehaun tut dem SCV weh, er musste aufgrund einer Verletzung passen – der ehemalige Dortmunder entwickelt sich in Ostwestfalen gerade mit dem Ball am Fuß sehr gut. Ein Profil, welches auch der SSV Jahn im Sommer gesucht hat.

Gefunden hat man Felix Gebhardt, aber schon im Vorfeld der Partie gab es leise Gerüchte: Weidinger rückt für Gebhardt in die erste Elf. Gebhardt verletzte sich im Abschlusstraining bei der Annahme eines Balles, er wird wohl mehrere Wochen ausfallen. Der SSV Jahn wird am Anfang der Woche weiteres bekannt geben. Bulic sowie Schönfelder hatten gegen Haching aufgrund nicht bekannter Gründe gefehlt, im Laufe der Vorbereitung wurden sie wieder in den Kader integriert und starteten direkt wieder für Hein und Eisenhuth.

In einem 4-4-1-1 starteten die Verler in die Partie, der SSV Jahn wie gewohnt in einem 4-2-3-1, wobei sich in jeder der 4 Kernspielphasen die Systeme wohlgemerkt veränderten. Dazu später mehr.

Spielbericht: 1. Halbzeit

Anfangs begann es erstmal mit einem kleinen Abtasten, jeder hatte zwar kurze Ballbesitzphase, aber ein allgemein technisch teils unsauberes Spiel wurde dort von einigen Ballverlusten geprägt. So einer wurde Verl schon in der 9. Minute zum Verhängnis: Der ins Zentrum gerückte Stöcker (eigentlich Außenverteidiger) verlor seinen Ball an Schönfelder, der setzte den am Flügel überlaufenden Faber ein, welcher so hinter der Kette in die Box flach flanken konnte. Kother, der sich im Rückraum von der gegnerischen Kette absetzen konnte, traf daraufhin zwar das Tor, aber auch Noah Ganaus, welcher laut den Schiedsrichtern im Abseits stand.

Steht Ganaus hinter dem Torwart? – Das ist die Frage, denn der Keeper bestimmt die Abseitslinie. Es ist wohl eine Entscheidung, die man nicht einfach so auf den Moment fällen kann, auch ein VAR hätte sich schwergetan. Kann man deswegen dem Linienrichter etwas vorwerfen? Wohl eher nicht. Dahingehend muss man sagen: Pech gehabt. Im Kontext des Spieles hat es sich aber im Nachhinein noch ausgeglichen, bitter ist es trotzdem.

Kurz darauf kann der Sport-Club in seinem 2-4-Aufbau erste Stiche in der Partie setzen. 2-4-Aufbau…was labert der Aichinger schon wieder, das werden sich einige nun denken. In Kurzform geht es darum, dass man im eigenen Drittel Rauten kreiert, um möglichst effektiven Ballbesitzfußball spielen kann. Oft wird es damit verknüpft, dass man das Pressing des Gegners provoziert, auch damit die gedeckten Sechser sich freilaufen können. Der Jahn tat sich sehr schwer damit, so versuchte man eben jenen Sechserraum zu isolieren, indem Ganaus sowie Viet die beiden Sechser zustellten. Auch wollte man Verl zu langen Bällen drängen, denn auch die Außenverteidiger, welche ebenfalls eine essenzielle Rolle in diesem System spielen, wurden von den Regensburger Flügelspielern anvisiert. In Folge rückte auch Rasim Bulic in das letzte Drittel, um die numerische Unterzahl durch den tiefen Aufbau des Gegners zumindest teils auszugleichen. Dadurch hinterließ er aber einigen Raum zwischen sich und dem zweiten Drittel, der beim 0:1 genutzt wurde: Verl konnte im Aufbau die frei laufenden Sechser anspielen und sich auf die Flügel befreien, dort eroberte Schönfelder den Ball, aber anstatt ins Umschaltspiel zu kommen, ging es direkt wieder in die andere Richtung. Sichtlich überrascht vom Gegenpressing des Gegners konnte man nicht zum Gegenschlag ausholen, stattdessen nutzte Sessa den Raum zwischen Bulic und Geipl. Nachdem er sehr weit dribbeln konnte, spielte er auf Taz, der zwar gedoppelt wurde, aber dennoch einiges an Raum vor sich fand, daher ohne Probleme ins Zentrum flanken konnte, wo erst Otto an Weidinger scheiterte, dann aber Lokotsch schnell reagierte und zur Führung einköpfte.

Der 2-4-Aufbau, dazu das Zustellen des Sechserraumes durch den Jahn

Daraufhin stellte aber der SSV Jahn um, presste nun nicht mehr, nachdem der Pass auf den Außenverteidiger gespielt wurde, sondern setzte auf eine eher freiere Abordnung und ein direktes Angriffspressing. Auch Torwart Müller wurde daraufhin noch öfters angelaufen, trotz einiger knappen Situationen unterstrich er die exzellente technische Ausbildung bei den Ostwestfalen und meisterte das Pressing ohne Probleme.

Ein weiteres Merkmal des SC Verls sind die herausrückenden Innenverteidiger bei langen Bällen des Gegners, gerade gegen Viktoria Köln waren sie in dieser Hinsicht gefordert. Der Jahn spekulierte auf diese Szenen, egal wie es ausging, die anderen Spieler liefen in die Tiefe. In der 22. Minute wurde dies belohnt, nach einem langen Freistoß köpft Kopfball-Spezialist Rasko den Ball auf Kother, welcher drei (!!) Verler außer Gefecht setzte, dann nach innen zog und dann auch noch Müller überlupfte. Das ist nicht nur große Klasse, sondern auch taktisch so provoziert.

Die Gestaltung über die Halbräume und die dadurch verbundenen Probleme

Daraufhin wurde es ein Spiel, welches sich irgendwie in seiner Dynamik in Richtung der Jahnelf wandte, aber Verl stellte den Jahn immer wieder vor Probleme. So versuchte man, das Spiel zunehmend über die Halbräume zu gestalten. Wieso ist das problematisch? Im Halbraum gibt es keine direkte Zuordnung, vor der Abwehrreihe gibt es sogar drei Optionen: Der Sechser, der Außenverteidiger und der Innenverteidiger – alle drei können den Gegner stellen, doch wer tut es am Ende? Dieses vor Entscheidungen und Fragezeichen stellen, damit man dadurch Fehler provoziert, zieht sich wie ein roter Faden durch das Verler Spiel. So orientierte sich Saller teils mehr zentral, dazu erforderte der tiefe Aufbau so viele Spieler im Zentrum, dass die Außenverteidiger oft sehr viel Raum hatten. Aber auch der Jahn versuchte im Spielaufbau einige Kniffe, so wollte man die Ketten eng halten, daraufhin Spielverlagerungen, wie beim Siegtor im Hinspiel, auszuspielen. Doch diese Möglichkeiten wurden oft zu unsauber oder zu langsam ausgespielt, dass Verl auf die jeweilige Seite verschieben konnte.

Auch lange Einwürfe zählen zu einer der Waffen der Ostwestfalen, sie werden fast wie eine Ecke ausgespielt, dies zeigte man auch in der 31. Minute, aber Taz setzte seinen Fallrückzieher deutlich neben das Tor. Nach 47 Minuten kam der SSV Jahn zwar erneut über den Flügel hinter die Kette des Gegners, aber eine Abseitsposition kostete der Jahnelf wohl die erneute Führung.

Doch irgendwie fehlte nach den beiden Toren dann doch die Bissigkeit, man konnte Umschaltsituationen nicht ausspielen, rückte teils zu langsam nach und konnte so auf beiden Seiten keine offensiven Akzente mehr richtig erkennen.

Spielbericht: 2. Halbzeit

Nach dem Pausenpfiff ging es dennoch ähnlich so weiter, beide Trainer versuchten kleine Änderungen vorzunehmen, aber in den ersten 5 Minuten war wie in der ersten Hälfte ein Abtasten angesagt. Lokotsch und Otto versuchten aber, dass sie in den zweiten 45 Minuten noch mehr Aufgaben für die Innenverteidiger stellen, um dann Raum für nachrückende Spieler zu öffnen. Dies funktionierte in Spielminute 54, wo Otto im Rücken der Innenverteidigung stand und daher Sessa so viel Raum vorfand, dass er in der Box ohne große Bedrängnis abschließen konnte, aber Alex Weidinger hielt den Jahn im Spiel. Daraufhin blieb Andi Geipl in einer tieferen Position, damit man auch die Absicherung nach Ballverlust etwas verstärken konnte, auch Bene Saller hielt an seiner etwas zentraleren Position fest.

Zu dieser Phase konnte man dazu erkennen, dass Verl gegen den Jahn eine Sicherheitsvariante des Pressings wählte. Während man gegen Köln noch ein aggresives Angriffspressing sah, war es gegen den Jahn eher vorsichtig, so lief Lokotsch beide Innenverteidiger bzw. Weidinger an, während die Flügelspieler bzw. die 10er die Außenverteidiger zustellten – man wollte also in erster Linie den kurzen Aufbau stoppen und lange Bälle provozieren. Das klappte auch ganz gut, so wurde der Jahn eigentlich nur noch nach erneutem Platz auf den Außen und einem Kopfball durch Anspach (64.) gefährlich. Allgemein hatte man Probleme, dass man die Räume auf den Flügeln ins Zentrum übertragen kann – oft scheitert es daran, dass man im letzten Drittel ins Zentrum und daher in die Nähe des Tors kommt. Diese Schwäche zeichnete sich in den ersten Spielen der Saison ab, wurde mit dem Lauf zwar abgeschwächt, taucht aber nun wieder auf. Dieses Problem zeigte sich bspw. auch in der 71. Minute, wo Kother alleine in die Box vom Flügel dribbeln kann, aber dann nicht das Zentrum oder den Rückraum finden kann, dadurch wurde eine Überzahlsituation einfach so hergeschenkt. Die Lösung? Es gibt wahrscheinlich keine direkt, aber man darf sich von Gegnern wie Verl nicht so einfach beschränken lassen und den tiefen Block anders überspielen, dafür vielleicht auch mal den Weg mehr in den strukturierten Ballbesitz finden.

In der 80. Minute sah man wohl dann den Aufreger des Tages: Nach einer Ecke kann Wolfram beim langen Pfosten, nachdem Breunig zu langsam reagierte, einfach so in Richtung Alex Weidinger köpfen konnte, der den Ball irgendwie rausfischte, doch war der Ball nicht drin? Im Moment war es auch für mich eigentlich klar, dass der Ball auf war und nicht hinter der Linie war, doch nach Einsicht der Bilder wurde ziemlich schnell klar, dass es eigentlich ein klares Tor hätte sein müssen. Erneut steht der Linienrichter im Fokus, erneut hätte es wohl Tor geben müssen. Ausgleichende Gerechtigkeit nennt man das wohl, auch wenn es Wolfram hinterher eher anders sah: „Uns wurde der Sieg hier weggenommen“.

Am Ende passierte nicht mehr viel, beide agierten im Ballbesitz nun eher ruhig, auch weil das Pressing weniger intensiv wurde. Am Ende stand dann ein 1:1 auf der Anzeigetafel. Ob man damit zufrieden sein kann, wird man wohl erst am Ende der Saison sagen können. Insgesamt gestaltete sich der Spielaufbau und das Pressing der Verler etwas energischer und dies setzte sich auch in entsprechenden Raumvorteilen um. Es war kein ansehnliches, aber auch kein enttäuschendes Spiel, sondern letztlich zumindest so gut, dass bei beiden Mannschaften die jeweilige Stimmungslage nicht schlechter sein dürfte als vor dem Anpfiff.

(Foto: Jan Hetfleisch/Getty Images for DFB via Onefootball)
Braucht es einen neuen Torwart?

Die Verletzung von Felix Gebhardt hat vielleicht mental auch mehr eine Rolle gespielt als auf dem Platz, es wird aber in den nächsten Wochen Tage geben, wo man sagen wird, den hätte Gebhardt gehabt. Trotz des Vertrauens in Alex Weidinger werden aktuell Stimmen laut, dass man noch jemand holen müsse. Doch ist das so einfach, dass man Mitte Januar einen Torwart holt, welcher auf einem ähnlichen Level wie Gebhardt ist? Wohl eher nicht, schon im Sommer war es ein Wunder, dass überhaupt so ein Kaliber in die Domstadt kommt.

Dennoch wird man sich nach unseren Informationen darüber zumindest beraten, alles andere wäre aber auch fahrlässig. Weidinger hat bewiesen, dass er ein sicherer Rückhalt ist, dennoch bleiben im Umfeld Fragezeichen, ob er auch die Konstanz halten kann – das Vertrauen seiner Mitspieler hat er auf alle Fälle, so sagte Konni: „Er macht das im Training jeden Tag super, daher war es überhaupt keine Frage, dass er spielen wird. (…) er strahlt diese Ruhe aus, die er auch im Training zeigt, dazu wird da jetzt von Spiel zu Spiel alles besser, da kann man aber schon jetzt rundum zufrieden sein.”

Ein bisschen Angst hat man ja schon, dass diese Verletzung eine kleinen Negativstrudel einleitet. Joe hat aber schon immer bewiesen, dass er seine Spieler im mentalen Bereich zu 100 % aufstellt, dahingehend muss man sich da eigentlich nur wenige Sorgen machen, ein Beigeschmack bleibt trotzdem.

MVP 1 des Spieltags: Dominik Kother

Immer bereit zum Dribbling, immer den Blick für den Raum und dazu weder anpressbar noch aus der Dynamik zu bringen – Dominik Kother war der Dreh- und Angelpunkt beim Punkt gegen Verl. Nicht zuletzt sein Tor war überragend. Er ist einer der Spieler der Hinrunde und unterstreicht, dass man für Schlüsselspieler auch gerne eine Ablöse zahlen kann.

Hierbei sei auch erwähnt, dass Konni Faber wie immer eine gute Leistung zeigte und auch Alex Weidinger grundsolide im Tor war.

Enttäuschung des Spieltags: Rasim Bulic

Bulic war oft der Anker im Spiel der Jahnelf, doch gegen Verl fehlte nicht zuletzt der Rhythmus. Einige Ballverluste, Fehlpässe, eine zu frühe gelbe Karte sowie der Fehler zum Gegentor – ein gebrauchter Tag für Bulic. Dennoch muss und wird er schon am Mittwoch zurückkehren, da bin ich mir ganz sicher, denn der SC Verl ist wohl auch der undankbarste Gegner für einen zentralen Mittelfeldspieler.

Stimmen zum Unentschieden

Konni Faber: „Die ersten 20 Minuten sind wir nicht so ins Spiel hereingekommen, wie wir uns das vorgestellt haben. Haben dann eine hundertprozentige Chance, wo ich auf Noah ablege, klären selbst von der Linie, aber bekommen dann direkt im Gegenzug das 0:1. Bis zum Ende gab es nicht mehr so viel Großchancen. Wir sind nach dem Gegentor gut zurückgekommen, haben den Ausgleich gemacht und dann hatten wir auch wieder die Spielkontrolle und den Zug zum Tor.”

Alex Weidinger: „Ich habe gerade bei MagentaTV noch gesehen, dass der Ball hinter der Linie war. Unser Glück, dass es keinen Videobeweis gibt, das nehmen wir heute dankend mit. Manchmal profitiert man davon, manchmal zieht man den Nachteil daraus. (…) das war ein Reflex, ich lasse den Ball ja nicht einfach so rein, ich wollte irgendwie hinkommen. (…) vom Gefühl her dachte ich, das ist eine ganz enge Nummer.“

Noah Ganaus: „Schweres Spiel gegen einen richtig guten Gegner. Die ersten 20 Minuten haben wir uns richtig schwergetan, aber dann wurde es besser, auch in den Zweikämpfen, dazu hatten wir mehr Torchancen. Und glaube das 1:1 ist ok, wir hatten noch Chancen, Verl aber auch, daher geht das Resultat für mich so in Ordnung“.

Joe Enochs zum Spiel: „Je länger das Spiel gedauert hat, desto besser sind wir ins Spiel gekommen. In der zweiten Halbzeit gab es weniger klare Torchancen. Uns fehlte die letzte Kleinigkeit, um noch einen Treffer zu erzielen. Wir wissen einfach, wo wir herkommen und ein Unentschieden gegen den SC Verl nehmen wir mit. ”

Joe Enochs zu Alex Weidinger: „Alex hat das sehr gut gemacht, der hat Ruhe ausgestrahlt, ein paar richtig gute Bälle gespielt und war da, als wir ihn gebraucht haben.“

Schlüsselstatistiken zum Spiel
NameSSV JahnSC Verl
Ballbesitz52%48%
Torschüsse55
Torschüsse – daneben42
Fouls1227
Ecken52
Abseits52

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  1. most valueable player = wertvollster Spieler ↩︎