Ein Punkt ist kein Punkt?

Das Spiel SSV Jahn gegen Viktoria Köln kommt nicht über wenige wiederkehrende Spielsituationen hinaus – lange Bälle, Zweikämpfe und Standardsituationen. In der 99. Spielminute traf Sticker mit etwas Glück für die Kölner zum 1:1. Über die Partie gesehen ist das Unentschieden gerechtfertigt, aber dennoch unnötig. (Foto: Gatzka)

Spielbericht

Zu Anfang der Partie stellte sich eine Frage: Wie spielt Viktoria Köln? Janßen musste gleich auf fünf (!) Stammspieler verzichten, gerade der Ausfall von Marseiler spielte ihm in die Karten, denn der Stoßstürmer hatte sich in nicht wenige Notizbücher gespielt, vielleicht sieht man ihn nächste Saison schon eine Ebene höher. Aufgrund des 4-2-3-1-Systems des Jahns versuchte man die Flügel zu stärken, so spielten die 10er Handle und Philipp breiter, um möglichst früh zu attackieren. Aber auch in der letzten Reihe war ich anfangs von einer Viererkette ausgegangen, denn um die Räume vor der Kette verteidigen zu können, müsste bei einer Dreierkette ein Innenverteidiger immer sehr aggressiv herausrücken, diesen entstehenden Raum würde der Jahn sofort ausnutzen (siehe Freiburg II). Janßen löste es, indem Lorch als defensiver Mittelfeldspieler auflief, mit Fokus auf die defensive Stabilität. Der SSV Jahn brachte Eisenhuth für Geipl, der immer noch angeschlagen ist. Eric Hottmann geht es nach eigener Angabe wieder besser, sogar leichtes Stehen ohne Krücken sei wieder möglich, weiterhin gute Genesung!

In der Anfangsphase reagierte der Jahn auf die Dreierkette, indem die Flügelspieler extrem breit standen, daraufhin stach Ganaus oft in die Lücke zwischen den IVs. Allgemein gestalteten sich die ersten Minuten der Partie eher zäh, schon früh stellte der Jahn das Zentrum zu, dies führte zu langen Bällen der Kölner. Dieses Zustellen ist eine Reaktion auf die letzten Spiele der Viktoria, dort drängte man oft den Gegner zum Pressing, versuchte es zu locken, überspielte dann die Linien – das wollte der Jahn verhindern. Die von vielen als Unsicherheit registrierten langen Bälle von Voll konnte man schon zuletzt erkennen und sind wohl mehr geplant als ein Fehler, dahingehend spielt er eine zentrale Rolle im System von Olaf Janßen, nicht wenige Male kann man in den Spielen der Viktoria eine Dreierkette mit Voll erkennen. Dies stellte den Jahn vor eine Probe: Geht man vom Agieren in ein Reagieren, lässt man dafür das Locken nicht zu?

Mit laufender Spielzeit sah man dann eine Mischform, einzelne Akteure rückten aus dem Konstrukt heraus, gleichzeitig stellte man aber das zweite Drittel, teils manngebunden, zu. Dies erhöhte zwar die Stabilität im Zentrum, aber Philipp und Handle agierten zunehmend in einer fludien Rolle und zwischen den Reihen, dadurch lösten sich die Bindungen. Das Pressing des Jahn wurde überspielt und die Viktoria kam mit wenig Aufwand ins zweite Drittel, daraus entstanden Unterzahlsituationen und die Innenverteidiger mussten teils sehr riskant herausrücken.

Durch einen Freistoß ging dann der Jahn in der 28. Minute in Führung, nachdem sich Ganaus von seinem direkten Gegenspieler lösen und nach einer Ablage von Breunig ins Tor einschieben konnte. Wie er da die Flugkurve des Balles antizipiert, auf die Ablage von Breunig reagiert und sich löst – das ist höchste Klasse. „Andi und Philipp lassen sich da immer etwas einfallen“, lobte Joe Enochs nach dem Spiel seine Co-Trainer.

Nach dem Treffer agierte der Jahn zeitweise wieder mit mehr Energie und man konnte auch im Pressing wieder Nadelstiche setzen, gleichzeitig schob aber Köln die Außenverteidiger hoch, durch die hohe Formation des Jahns entstand dann eine Unterzahl am Flügel. Daraufhin mussten auch die ZMs mehr auf die Flügel verschieben und die Flügelspieler weit nach hinten rutschen, daraus ergab sich das Bild wie in der Anfangsphase. In dieser Zeit zeichnete sich Bulic mit einigen wichtigen Läufen aus, konnte oft offene Lücken schließen, dazu sagte er später: „Ich mache das, für das Team, sehr gerne“.

Oscar Schönfelder gab kein glückliches Bild in der ersten Halbzeit ab, musste oft auf den tiefen Block des Gegners zulaufen und suchte das Zentrum mit Flanken, die oft über den langen Pfosten ins Aus gingen. Daraufhin wechselte er temporär mit Kother den Flügel, um auch die Struktur des Gegners etwas in Unruhe zu bringen.

In der ersten Halbzeit ergaben sich ansonsten nur kleine Chancen, oft wurden wichtige Zweikämpfe noch vor der Box gewonnen oder lange Bälle wurden früh entschärft. Dennoch zeigten sich beide anfällig und offenbarten Schwächen.

Nach der Halbzeit wurde aufgrund der Schwächen gegen den Ball Rasko Bulic in die erste Linie geschoben, daraus ergab sich mehr Explosivität im Pressing, allerdings auch mehr Lücken im zentralen Mittelfeld. Eisenhuth war zwar mit dem Ball überzeugend, mimte den Ballverteiler, der die Seitenverlagerungen dirigiert, war aber im Umschaltspiel oft überfordert. So stellte sich oft die Frage: „Herausrücken oder Deckungsschatten halten?“. Gerade im Gegenpressing fiel diese Schwäche oft aus und das Zögern kostete schon wichtige Meter.

Kurz nach dem Seitenwechsel fand dann Ganaus mal den Raum vor der Kette (siehe oben) und zog schnell den Abschluss, aber auch Voll zeigte seine Klasse. Eine Situation, die zeigte, wie man Köln schlagen kann: Wenn man die Räume vor der Dreierkette sucht und Räume nutzt. Dies ist dem Jahn viel zu wenig gelungen, oft suchte man die langen Bälle, erst mit Bulic kam dann ein Spieler, der dies verarbeiten konnte. Häufig versuchte man es mit Seitenverlagerungen, um den Gegner auf eine Seite zu locken und sie dann auf der anderen Seite zu nutzen. Dies gelang mehrmals gut, vor allem Konni konnte daraufhin oft sein Tempo gut nutzen, was in dieser Liga ein großer Trumpf ist.

Kurz danach verletzte sich Simon Handle schwer am Kopf, dazu Janßen: „Ihm geht es den Umständen entsprechend (…) wohl mit einer Gehirnerschütterung.“ Gute Besserung! 

Der Umgang war von allen Seiten sehr gut, wie immer gilt der Dank der Helfer. Wer sich mehr zum Thema Kopfverletzungen informieren möchte, dem empfehle ich diesen Artikel: https://www.sueddeutsche.de/sport/sportmedizin-kopfverletzungen-fussball-gehirngesundheit-1.5712852

In der 70. Minute nutzte Kother den Raum, den ein aufgerückter Außenverteidiger hinterließ, allerdings war der Winkel dann doch zu spitz, sodass Voll parieren konnte. Allgemein versuchte Köln zunehmend mehr aufzurücken, gerade die Flügelverteidiger wurden mehr und mehr zu defensiven Flügelspielern, aber das ergab Räume, wie eben in dieser Situation. Im direkten Gegenzug musste Ganaus in der eigenen Box zur Ecke klären – der Jahn versucht offensiver zu spielen, die Außenverteidiger haben noch mehr in die Höhe geschoben, daraus ergab sich ein 2-4-4, während es zwischen den Linien einige Rotationen gab, was das Spiel eher unstrukturierter machte.

In der 86. Minute verlor der Jahn den Ball in der gegnerischen Hälfte, ähnlich wie gegen Freiburg II, durch das nur sehr langsame Verschieben ergaben sich Räume auf den Außen, auch das Gegenpressing war einmal mehr zu wenig intensiv. Dadurch konnte Philipp relativ unbedrängt abschließen, doch erst wurde sein Schuss geblockt, dann der von Najar – eine kollektive Defensivleistung, dennoch kosten Situationen wie diese unglaublich an Kraft.

Auch Felix Gebhardt zeichnete sich einmal mehr in dieser Saison aus: Erst hielt er den Freistoß von Mustafa, dann scheiterte daraufhin auch noch Dietz an dem U-Nationalspieler. Wieder konnte er die Mannschaft vor einem Gegentor retten, er trägt einen nicht kleinen Teil zur Erfolgsbilanz bei, gerade in den engen Spielen.

Doch am Ende kam es dann doch so, wie es kommen musste: Der Jahn saß erneut im tiefen Block, konnte wieder nicht schnell genug rausrücken, kassierte den langen Ball hinter die Kette und Sticker fand irgendwie den Weg ins Tor. Es war ein Tor mit Ansage und es war fast nach dem gleichen Muster wie vorherige Chancen, die fehlende Handlungsschnelle und Intensität im Pressing kostete dem Jahn erst das Momentum und dann die drei Punkte.

“Vik..Vik…Viktoria”, das ertönte aus dem Gästblock nach dem bitteren Ausgleich. (Foto: Gatzka)
Fazit zum Spiel

So richtig anzufangen weiß ich nichts mit diesem Spiel, doch es bringt uns alle wieder zurück auf den Boden der Tatsachen. Manchmal braucht eine Mannschaft diese Tage, wo sich diese Sachen offenbaren – manchmal muss man diese „Wut“ wieder anfachen. Wenn man dieses Spiel sieht, dann kann man es eigentlich mit einem Wort herunterbrechen: Intensität. Denn das hat uns in diesem Spiel gefehlt, vielleicht auch ein Ergebnis dieser unglaublich schwierigen Wochen. Wir müssen das Pressing wieder mehr annehmen, schon wissen, dass wir anlaufen, bevor der Spieler den Ball bekommen hat, denn Intensität ist unsere Identität. Ohne diesen Faktor ist unser Spiel nur sehr wenig wert.

Ideen brauchen Zeit, sie brauchen Konstanz, dann werden sie zur Gewohnheit. Dieser Fortschritt war in dieser Mannschaft enorm, noch nie habe ich eine Mannschaft gesehen, die eine Philosophie so schnell annehmen konnte. Es ist nun die Aufgabe, dass man den Fokus schärft – nicht mit gesenkten Kopf aufgrund des 1:1, aber mit Wut im Bauch. Es ist wirklich besonders, welche Mannschaft wir haben, es ist egal, wer spielt, bei uns geht es meist um das „wie“. Wie setzt man die Punkte der Philosophie um, die man sich vornimmt – wenn wir diese Disziplin, verbunden mit Kreativität, auf den Platz bringen, dann ist der Jahn nicht zu schlagen.

Stimmen der Trainer

Joe Enochs zur Leistung der Mannschaft: „Wir haben heute berechtigterweise Unentschieden gespielt. In der ersten Halbzeit konnten früher wir in Führung gehen, haben aber immer wieder Probleme mit der Spieleröffnung von Viktoria Köln gehabt. Unser Anlaufverhalten war etwas zu verhalten. Das wurde zur zweiten Hälfte besser. Aus unseren Ballgewinnen konnten wir uns keine klaren Torchancen erspielen. Aus dem Spiel heraus haben wir wenig Möglichkeiten kreiert. Uns haben heute ein paar Prozent gefehlt, um das Spiel zu gewinnen.“

Olaf Janßen zum gewonnenen Punkt:Für mich war es heute sehr besonders, Trainer dieser Mannschaft zu sein. Wir hatten in den letzten Wochen einen schweren Weg. Die Mannschaft zeigte Haltung, Einstellung und das Wir-Gefühl. (…) es war ein verdienter, wenn auch hart erkämpfter Punkt.“

Joe Enochs zur Umstellung nach der Halbzeit: „Es hat über 20–25 Minuten echt gut ausgesehen, die Flügelspieler mussten halt sehr viel laufen. In der Laufarbeit waren wir nicht immer bereit, dass wir diese Arbeit machen. Die Umstellung, wir wollten Tobi gegen Handle, der aber eine Position tiefer spielte. In der 2. Halbzeit, dann gegen Najar und Chrille gegen Philipp, damit sich beide Innenverteidiger auf Becker konzentrieren können. Dieser Druck und die Ballgewinne sind uns teilweise gelungen, aber nicht immer.

Stimmen zum Spieltag

Rasim Bulic zum Unentschieden: „Das Spiel war schwer, wir sind nicht gut hineingekommen. Dann war es eine Zeit gut, dann das Tor und dann war Köln am Drücker. Nach der Umstellung in Halbzeit 2 wurde es besser, aber am Ende darf uns sowas nicht passieren. Den Punkt haben wir aber mitgenommenen.“

Konni Faber zum späten Ausgleich: „Es ärgert uns total, es war vermeidbar. Wir wissen, dass wir, um Spiele in Liga 3 gewinnen zu können, bessere Leistungen als heute zeigen müssen. Dennoch gehört es auch dazu. (…) ich bin trotzdem stolz auf die Truppe und die jungen Spieler, die heute hineingekommen sind und jede Woche Vollgas geben.“

Bene Saller zur gerissenen Serie: „Es ärgert uns natürlich, dass wir da am Ende den Sieg aus der Hand geben und 1:1 spielen. Ich mag nicht so auf die Serie eingehen, wir hatten heute wieder die Chance, dass wir drei Punkte holen, haben das nicht geschafft, nur einen geholt. (…) Heute war es von der Leistung her nicht so, dass wir es verdient gewonnen hätten.“