Plötzlich im Aufstiegskampf

Was für Wochen sind das aktuell für den Jahn? Eine perfekte englische Woche mit Siegen gegen Konkurrenten aus Aue sowie Ingolstadt – dann wird auch noch Lübeck mit einem Arbeitssieg aus dem Stadion gefegt. Mehr geht nicht, oder etwa doch? (Foto: Gatzka; Mitarbeit: Kittenkurmler)

Beim Heimspiel gegen die Norddeutschen nahm Joe Enochs zwei Veränderungen in der Startelf vor, jedoch blieb die grundsätzliche Ausrichtung gleich. Nachdem man auch zeitweise ein 4-4-2 einstudiert hatte, blieb man gegen Lübeck beim klassischen 4-2-3-1. Eine entscheidende Rolle hierbei nimmt der genesene Rasko Bulic ein, der teils sogar in der ersten Pressinglinie zu finden war. Auch größere Clubs aus der 2. Bundesliga haben nach unseren Informationen seine „enorme Zweikampfstärke sowie sein gutes Positionsspiel“ mittlerweile registriert. Er stand neben Andi Geipl, der ein „Anker“ im Defensivspiel ist und gerade in der Passwegzustellung eine wichtige Rolle spielt. Die Viererkette dahinter rekrutierte sich aus Saller, Breunig, Bittroff und Faber. Die offensiven Flügelpositionen wurden erneut von Dominik Kother sowie Oscar Schönfelder besetzt, dazwischen stand „Nadelspieler“ Viet und davor der Stoßstürmer Noah Ganaus.

Lübeck spielte auf dem Papier ebenfalls in einem 4-2-3-1. Klewin kehrte ins Tor des VfBs zurück, davor standen Rüdiger, Reddemann, Grupe und Sommer. Im dynamischen Mittelfeld fanden sich auf den nominellen Sechserpositonen Egerer und Bohland wieder, davor agierte Gözüsirin. Er ist sowas wie ein Freigeist im Zentrum, soll immer die Nähe zum Ball suchen und Räume öffnen. Am Flügel liefen Velasco und Hauptmann auf und ab und Altstar Breier sollte es als Sturmspitze richten.

Der Spielbericht

Wohl kaum jemand vermutete zu Spielbeginn die schieren Kartensalven, die im Laufe des ruppigen Spiels noch folgen werden. Nach einer Schweigeminute für die Opfer des wiederaufgeflammten Nahostkonflikts begann ein intensiver Drittligafight, mit dem besseren Start für den VfB. Begleitet von starken herbstlichen Regengüssen und so manchen Rutscheinlagen kombinierten sich die Lübecker die erste halbe Stunde clever durch die Jahn-Reihen. Dabei kamen sie durch Gözüsirin (10.)/(23.), Egerer (30.) und Grupe (18.) zu einigen Hochkarätern, die allerdings ineffizient liegen gelassen wurden. Von da an war das Tempo auf beiden Seiten ein wenig verloren. Das jahnsche Angriffspressing fruchtete häufig aufgrund Abstimmungsschwierigkeiten noch nicht. Bis Viet nach einem Fehlpass Kother auf die Reise schickt und dieser souverän Keeper Klewin überwindet (41.). Und die Jahnelf blieb hungrig. Zunächst können zwei Verteidiger der Marzipanstädter Ganaus trotz unvorteilhafter Ballvorlage nicht von diesem trennen. So kann dieser abziehen und Schönfelder den Abpraller der Parade von Klewin ins lange Eck vollenden (45+3.).

Nach der Pause begann der Jahn schläfrig. Die Pausenansprache wirkte offenbar nicht wie gewohnt. Ein simpler Doppelpass überwindet die rechte Abwehrreihe der Jahnelf und sorgt nach nicht einmal 30 Sekunden für das Gegentor. Damit brachte Velasco mit seinem ersten Saisontor die Lübecker wieder ran (46.). Nun geriet das Spiel ein wenig aus den Fugen: Eine versuchte Scherengrätsche des Lübeckers Gözüsirin sorgte für gewaltigen Gesprächsstoff vor der Regensburger Bank und schließlich führte ein Rückpass im Getümmel des grün-weißen Strafraums zu einem indirekten Freistoß (69.), den Schönfelder allerdings in die lebende Mauer setzt. In der Folge eskalierte das Kartengewitter: Breunig Gelb-Rot wegen Ballwegschlagens (71.), Gelb für Schönfelder (76.), Hottmann (82.), Geipl (85.), Phillip Tschauner (87.), Löhden (88.), Farrona Pulido (90+1.), Diawusie (90+6.) und Faber (90+6.) und rot für Sommer wegen einer Notbremse (79.)(Die gelben Kartons vor der Pause hab ich gar nicht erwähnt). Natürlich führte das zeitweise zu einer Unterzahl für die Domstädter. Daraus resultierte aber nur eine gefährliche Möglichkeit durch den Ex-Regensburger Jan-Marc Schneider (78.). Durch die zweite rote Karte, war das Spiel allerdings wieder ausgeglichen und das sorgte erneut noch für einige Chancen in der Schlussphase. Farrona Pulido (87.) und Löhnen (90+4.) verpassten genauso wie Diawusie (90.) den einen oder anderen Ausgang. So blieb das 2:1 Endergebnis mit einem faden Beigeschmack. Man sah sich als Jahnfan an die letzte Saison erinnert, wo man vielleicht die selben Probleme sah, vor denen aktuell Lübeck steht: Fehlende Abschlusspräzision und eine Ergebniskrise. Und natürlich hat man sich diesen Sieg aus Jahnsicht hart und sicher nicht immer fair erkämpft, also ein klassischer Arbeitssieg? Ein Eintrag in die Geschichtsbücher bleibt jedenfalls: Die meisten gelben Karten in einem Drittligaspiel, errungen mit Andi Geipl, entschuldigt den Nostalgie-Kick.

Drei taktische Prinzipien
1. Erst erfolgreiches Pressing, dann Falle für Fehler

Von dem 4-2-3-1-System auf dem Papier, versuchte man Lübeck in einem 4-1-3-2 aggressiv im Aufbau zu stören. Christian „Chrille“ Viet kam so in die letzte Linie, um Noah Ganaus beim Angriffspressing zu unterstützen. Gleichzeitig sollten die Flügelspieler die Außenverteidiger anlaufen, und Rasko Bulic war dafür verantwortlich, dass Egerer bzw. Boland nicht den Ball über das Zentrum in die Übergangsphase bringen, somit wollte man das typische „Balltreiben“ eines Sechsers verhindern. Insbesondere der VfB Lübeck setzt auf lange Bälle seitens der Sechser, diese sollten auch so verhindert werden. Wurde der Ball auf den Flügel gebracht, dann schob Andreas Geipl ballseitig auf den jeweiligen Flügel, auch um den Rückraum zu besetzen, denn der VfB suchte aktiv den Raum vor der Kette.

Zu Beginn sah man in diesen Situationen ein paar Mal, dass auch Gözusirin von der letzten Reihe mehr ins Zentrum gerückt ist, um eben die Isolierung auszuhubeln. Dies war später nicht mehr der Fall. Stattdessen fokussierte man sich auf die Breite und Seitenverlagerungen. Speziell Rüdiger löste sich Schönfelder, da dieser sich zeitweise auch mehr im Zentrum wiederfand, um die Dreierkette des Gegners ebenfalls abzudecken, mittels ballseitigem Verschieben wollte man auf den ballführenden Außenverteidiger Druck ausüben. Gleichzeitig ergaben sich Räume auf der anderen Seite, die Lübeck aber nicht ausspielte.

Also sobald der Ball von Innenverteidiger auf den Außenverteidiger gespielt wurde, fand man im Zentrum einige Mannorientierungen vor. Schönfelder aber hatte damit Probleme, musste im Deckungsschatten Rüdiger sichern, gleichzeitig aber auch den Innenverteidiger nicht aus dem Auge lassen, denn diese sollten ebenfalls nicht ohne Druck lange Bälle spielen. Das Vorrücken von Hauptmann erlaubte dann Breier, in den Raum hinter der Kette vorzudringen. Anders als gegen Freiburg II, wo er noch als klassischer Wandspieler agierte, war dieses Mal mehr Typus Stoßstürmer. Hauptmann war gerade nach der Halbzeit ein Faktor, bekam mehr Flügelläufe als vor dem Halbzeitpfiff und hatte auch Anteil am 2:1. Die hohe Besetzung der letzten Linie brachte den Jahn teils in Verlegenheit, denn die nachrückenden Spieler konnten nicht direkt zugeordnet werden, auch der Rückraum, wie vorhin bereits angesprochen, sollte da aktiv bespielt werden.

Kurz nach dem Pausentee stimmten die Abstände zu den Gegenspielern nicht, Pressing war teils ineffektiv, dann kam man in Folge auch nicht in die Mannorientierungen im Zentrum und durch das Verschieben ergaben sich die entscheidenden Räume auf dem Flügel. Daraufhin musste man sich erstmal erholen und ließ die Intensität im Pressing etwas sinken, fokussierte sich dafür wieder auf das Isolieren des Zentrums. Die Ketten schoben gerade im letzten Drittel näher aufeinander, man wurde teils förmlich in die Enge getrieben, das hatte auch zur Folge, dass man nicht die Umschaltmomente über die Flügel nutzen konnte, da Personal für lange Bälle fehlte.

Andi Geipls horizontales Verschieben soll Pass- sowie Laufwege zustellen, dazu auch Stabilität im Zentrum verleihen. Doch seine Rolle birgt auch Gefahren, bei schnellen gegnerischen Vorstößen öffnet das Verschieben Räume vor der Kette und in den Zwischenräumen. Die Dynamik spielt hier auch eine Rolle, teils wirkte es aktionistisch, gerade in der hitzigen Phase.

2. Faber v Rüdiger

In der Struktur (4-2-3-1), konnte der SSV Jahn mehr Gefährlichkeit über die rechte Seite entwickeln. Faber hatte einige 1v1-Momente gegen Linksverteidiger Rüdiger und kostete dem Lübecker einige Nerven. Rüdiger bekam schon in der 6. Minute seine gelbe Karte, was die Möglichkeit eröffnete, diese Seite mehr zu bespielen.

Regensburgs linker Flügel, Dominik Kother und auch Oscar Schönfelder ließen sich nach innen fallen. Kother, um ballseitig zu verschieben und Schönfelder, damit er den Gegenspieler (Rüdiger) anbindet und ihn in eine Zwickmühle bringt. Denn trieb Konni den Ball, dann schob auch Rasko Bulic ballseitig, band einen Gegner an und dann hatte der Außenverteidiger sehr viel Raum. Mehrmals betonte Enochs, dass Faber diesen Raum vor sich benötigt, damit er sein Spiel aufziehen kann, dafür müssen aber auch andere Spieler, wie hier, mithelfen. Ohne zusätzliche Hilfe in der Defensive tat sich Rüdiger schwer, so musste bspw. Egerer im Laufe des Spiels auf die Seite schieben, was wiederum Räume im Zentrum öffnete.

Benedikt Saller auf der anderen Seite ist eher ein inverser Außenverteidiger, was auch durch seinen starken rechten Fuß bedingt ist. Anstatt lange Flügelläufe, versuchte er eher den Weg über das Zentrum zu finden, agierte fast als verkappter Sechser. Diese hohen Außenverteidiger sind gefährlich, besonders in Umschaltsituationen, doch die bisherigen Gegner fanden nicht den Schlüssel gegen den SSV Jahn. Dies liegt vor allem daran, dass die Mannschaft in jeder Spielsituation eine Einheit ist, es gibt keinen Spieler, der sich nicht am Defensivspiel beteiligt. Weite Wege werden gegangen, um Lücken zu schließen, hohe Laufarbeit wird geleistet – das ist die Basis für den Erfolg.

3. Rotationen als Dynamiklöser

Im Laufe des Spiels haben sich die Strukturen festgesetzt, nach der Pause kam man nur schlecht in die Partie, musste den Anschlusstreffer hinnehmen. In dieser Phase wirkte man inaktiv, um genau dieses Verhalten auszusetzen, konnte man einige Positionswechsel erkennen. So rückte Bulic in die erste Pressinglinie, da er mit seinem explosiven Anlaufen einige wichtige Akzente setzen kann, dazu wechselten auch die Flügelspieler ihre Postion.

Diese Veränderung im Anlaufen hatte zu Folge, dass Viet kurze Pause hatte, da er gerade durch das ineffektive Pressing nach der Halbzeit einige Reserven verbrauchen musste. So wurde Bulic auch nach vorne gebracht, da er mit seinem Antritt den langen Aufbau der IV sehr schnell stören konnte.

Auch im Offensivspiel gab es einige Änderungen: Noah Ganaus ließ sich weit in das zweite Drittel zurückfallen, um sich früh in den Spielaufbau integrieren zu lassen. Dies führte dazu, dass man im Zentrum einen weiteren Spieler besitzt, der den Übergang in das letzte Drittel schaffen kann, dazu kann er auch Gegneranbindungen kappen und somit Räume öffnen. Die Flügelspieler haben ihre Seiten kurzzeitig getauscht, dadurch konnte man die Dynamik im Flügelspiel ändern und über diese kurzen Phasen ebenfalls die Mannorientierung lösen.

Das Fazit zum Spieltag

Nach 9 Toren bei nur 3 Gegentoren in 4 Spielen kann man schon mal in eine Euphorie verfallen, auch die Spielanlage gibt das her, doch es ist trotz alledem nicht alles perfekt. Einige kleine taktische Fehler oder technische Unzulänglichkeiten kamen auch in diesen Spielen vor, aber das Konstrukt steht mehr als stabil. „Nun, hat der Jahn diese Unterschiedsspieler, dann gewinnst du auch dreckige Spiele“, sagte einst ein Profitrainer zu mir und diese These hat sich auch gegen Lübeck bestätigt.

Nach dem Gegentor hätte man auseinanderfallen können, Erinnerungen an letzte Saison wurden wach, doch mit taktischen Änderungen und diesem Gottvertrauen in die eigenen Fähigkeiten, gehst du nach so einem Schock noch stärker hervor. Es wird Spiele geben, da werden wir nicht all unsere Stärken abrufen können, da werden wir auch mal nicht Oberpfälzer Vollgasfußball aufspielen können, doch mit diesem Trainer, dieser Mannschaft und diesem Rückhalt werden wir auch diese Phasen durchstehen, und erst dann kann man erste Prognosen abgeben. Derweil gilt: Genießen.

Wie es die Trainer sahen

Lukas Pfeiffer zur fehlenden offensiven Anbindung: „Ja, wir hatten einen Plan, den wir uns zurechtgelegt haben, der war tatsächlich gar nicht so ausgelegt auf Wandspiel, sondern wir wollten schon immer mal wieder den Zwischenraum finden, über das Zentrum, da waren wir schon in meinen Augen. Plus gegen die Raute im Pressing, und das haben wir auch eigentlich ganz gut gemacht, haben den Göserin immer wieder gefunden im Zwischenraum da, müssen wir einfach dann ja mehr draus machen, weil da sind dann auch aus den aus diesen Situationen zu wenig klare Torchancen für uns bei herausgekommen. Das muss irgendwie so die Message sein fürs nächste Mal und trotzdem ist natürlich auch Wandspiel immer wieder eine Option.

Joe Enochs zur Frage Gebhardt oder Weidinger: „Das sind diese Entscheidungen, die den Trainer treffen, die hatten wir vor ein paar Wochen auch mit Elias Huth, das war genau dasselbe Gespräch. (…) ich halte von Alex Weidinger sehr viel, so wie er sich verhält und der Mannschaft angenommen wird, er ist ein sehr feiner Mensch und ein sehr guter Torwart. (…) wir sind sehr dankbar, dass Felix zur Verfügung stand, dennoch eine sehr bittere Nachricht für Alex.“

Joe Enochs zur Phase nach der 2. Halbzeit: „Lübeck hat aus dem Gegentor Mut gewonnen, wollten mit aller Macht auf das 2:2 spielen und da haben wir uns kurz schütteln müssen. Dann haben wir die Möglichkeit zum 3:1 nicht gemacht und dann kommt es deswegen zu diesem wilden Spiel.“

Die Stimmen der Spieler

Andi Geipl über die aktuelle Lage: „Zu Platz Eins sage ich gar nichts, aber zum Sieg und der Erfolgsserie schon. Ich bin glücklich, dass wir gewonnen haben. Es war nicht unser bestes Spiel, es war eher ein Kampfspiel. Gerade die erste Halbzeit sind wir anfangs nicht so ins Spiel gekommen, konnten es nicht so umsetzen wie vorgenommen, machen dann das 1:0 und machen dann zu einem sehr guten Zeitpunkt das 2:0. (…) wie es so gekommen ist mit dem 2:1, ist dann viel zu billig, dann haben wir uns wieder rein gekämpft und haben alles verteidigt.“

Andi Geipl über den Schiedsrichter: „Ich glaube, wenn man das Spiel heute gesehen hat, dann war es nicht das Spiel dafür, dass man so viele Karten herzeigen muss. 0,0, das hätte man anders auch lösen können. Wegen jeder Kleinigkeit gibt der eine gelbe Karten, der andere nimmt einmal den Ball mit und bekommt gelb-rot (…) nichtsdestotrotz bin ich gesperrt und mehr habe dazu nicht zu sagen.“

Konni Faber über das enge Spiel: „Wir haben aktuell auch mal das nötige Spielglück. Wer letztes Jahr schon Jahnfan war, der hat gemerkt, dass es auch schnell in die andere Richtung gehen kann und dass man sich das hart erarbeiten muss, mit viel laufen sowie kämpfen. Ich bin froh, dass es so ist und möchte, dass wir das alles in die nächste Woche mitnehmen.“