Saisonrückblick Teil 3 – Die Gründe für den Abstieg

„Nie mehr, nie mehr, 3. Liga, nie mehr, nie mehr, nie mehr…“ So schallte es am 30. Mai 2017 durch die Allianz-Arena, tolle und teilweise auch nervenaufreibende 6 Jahre zweite Bundesliga folgten darauf. Dass nun damit wohl (erstmal) Schluss ist, steht fest: Der Jahn muss nächstes Jahr in der dritthöchsten Spielklasse ran. Einmal mehr stellt sich die Frage, wie es dazu kommen konnte und was für eine erfolgreiche nächste Saison nötig wird. Ein einfacher kurzer Ausflug in Liga 3, davon träumen wohl einige, die Realität dürfte diese aber sehr bald einholen. (Mitarbeit: Flo1889fm) (Foto: Gatzka)

Da im Teil 1 dieses Saisonrückblicks die Vorgänge hinter den Kulissen schon hinlänglich kritisch analysiert wurden und im Teil 2 sämtliche Spieler im Kader besprochen wurden, konzentrieren sich Flo und ich hier im Speziellen auf die vielseitigen Gründe für die sportlichen Misserfolge der letzten Monate.

Das Feldlazarett: Zu wenig für den Ligaverbleib

Um gleich ins Thema reinzustarten und einen möglichen Faktor für die fehlende Variabilität im Kader und somit eine wahrscheinlich weniger werdende Konkurrenzfähigkeit festzustellen, schauen wir auf die Kadergrößen der Zweiligisten. Hierbei stellen wir fest, dass der Jahn mit einigen Clubs zusammen, nach Heidenheim, den kleinsten Kader stellte. Dass ein kleiner Kader nicht unbedingt einen Leistungsabfall impliziert, zeigt eindrucksvoll das eben genannte Heidenheimer Team, die sich bekanntlich im Jahnstadion zum Meister der 2. Liga krönen konnten. Allerdings können weniger Alternativen auf kritischen Positionen im Kader in Phasen des Verletzungspechs gravierende Folgen haben. Da es aber vor allem zu diesem Thema beim Jahn keine brauchbare Statistik gibt, da auch sehr oft in der abgelaufenen Saison Grippe oder sonstige Krankheiten zum kurzfristigen Ausfall von wichtigen Spielern führten, kann man hier höchstens beim Thema schwerwiegende Verletzungen nachforschen.

Bei diesen fällt allerdings auf: Einige Verletzungen wiesen erstaunliche Parallelen auf. Sowohl Bene Gimber als auch Scott Kennedy fielen mehrere Wochen aufgrund von Schulterverletzungen und Leon Guwara, aufgrund einer Schultergelenkssprengung sogar für 3 Monate, aus. Hierbei wurden schon zahlreiche Vermutungen aufgestellt: Diese reichen über falsche Trainingsmethoden bis zu einer klaren Fehlbesetzung der Athletiktrainerposition, die bisher von Thomas Barth besetzt war. Vergleicht man allgemein die Verletzungshistorie der letzten Jahre, mit der dieses Jahres fällt ein großer Anstieg, vor allem der Schwerwiegenderen Verletzungen auf. Ein Oskar Schönfelder, der kein einziges Pflichtspiel, aufgrund eines Kreuzbandrisses, für die Jahnelf absolvieren konnte und die lange Schambeinentzündung von Sarpreet Singh sind weitere unglückliche Beispiele für die Misere. Dazu die ständige Unwissenheit unmittelbar vor den Spielen des Jahn, ob nun Spieler doch, vielleicht oder spontan ausfielen; Ein Zeichen, dass sich die spontane Kommunikation, trotz familiärem Umfeld am Kaulbachweg noch steigern muss.

Die Kadersituation im Fokus: Zu viele falsche Entscheidungen in der Planung

Dass sich der Kader unter Stilz verkleinert hatte, wusste man schon im Sommer. Dass aber der größte Teil der Neuverpflichtungen so gar nicht zum Jahn passt, kristallisierte sich schmerzlich in den Krisenmonaten danach heraus. Was man allerdings sofort am ersten Spieltag zu spüren bekam, war die ungleiche Positionsverteilung im Kader. Wenn man schon mit Gouras, Viet und den Rückkehrern Mees und Thalhammer solide Außenspieler und 6er verpflichtet hat, braucht man doch jetzt noch eher zwingend variable Defensivspieler oder einen Stoßstürmer der kompromisslos den Abstiegskampf annimmt, nicht wahr? So dürften wohl einige gedacht haben, während im Sommer 2022 nach und nach Paniktransfers wie Vizinger oder Idrizi eintrudelten; Schönwetterfußballer, die eigentlich so einiges drauf haben. Auch die Saisonplanung mit vier Innenverteidigern dürfte wohl Stilz anzurechnen sein; nur blöd, wenn im Winter zwei davon ausfallen, während die restlichen zwei Verteidiger, Wastl und Elvedi, den restlichen Winter, zuzüglich der monatelangen Katar-Pause, in jedem Pflichtspiel auflaufen müssen. Dies alles verdeutlicht die wirklich prekäre Kaderplanung, die aus heutiger Sicht wohl einen viel größeren Fokus auf die Mentalität der Spieler hätte richten sollen.

Und genau dieser soll sich nun mal genauer gewidmet werden. Nur wie? Es gibt ja offensichtlich keinen Menatlitätsmesser, sondern nur eine persönliche Wahrnehmung. Trotzdem kann man, wie wir finden, anhand von Zweikampfquoten, der Anzahl der intensiven Läufe oder der Laufleistung allgemein annähernd das untermauern, was auch ich persönlich diese Saison im Stadion beobachten konnte. Im Zweikampfverhalten konnte man sich auf die Dauerbrenner Elvedi, Breitkreuz und tatsächlich Viet, mit der besten Zweikampfquote als Feldspieler, verlassen. Auch die Quote von Jonas Urbig (100%), also ohne Fehler, in 17 Spielen ist wahrlich beeindruckend und untermauert seine wohl bald eintretende Bundesligakarriere. Die Zweikampfquote, die es in diesem Jahr vor allem vorne im 4-2-3-1 gebraucht hätte, stürzte im Vergleich zu den Vorjahren drastisch ab. Ein funktionierendes Pressing ist, wie schon oft erwähnt, essenziell für die Spielweise der Jahnelf. Dass nun ein Benedikt Gimber, bekannt als Zweikampfmonster der Liga, eine Quote von 55 % (alle Quellen: Sportschau) hat, reicht einfach nicht, man braucht dauerhaft einen feurigen und überperformenden Gimbo.
Man erinnert sich wohl noch in schemenhaften Gedanken an die (fast-)Spitzenreiter der Sprints und intensiven Läufe, bzw. der Laufleistung: Sie spielten für einige Jahre in der damaligen Continentalarena. In der Realität rangiert man zwar noch bei Laufleistung im Mittelfeld der Statistiktabelle, bei Sprints und Läufen dürften aber nicht nur wir realisiert haben, dass der Kader bei beidem im unteren Drittel der Liga rangierte. Ein Indiz, dass sich eben nicht jeder bis zum letzten Funken Power in alles und jeden reinschmiss. Dass man das an einigen Spielern über Monate hin beobachten konnte, die aber schon zur Genüge in den letzten Monden erwähnt wurden, tut nun sein letztes: ein weiterer Abstiegsbaustein für den Gang in Liga 3.

Die Torwartfrage: Zu wenig Konstanz im Kasten
Bild 1: Matt McNulty/Getty Images via Onefootball, Bild 2: Gatzka

Vor der Saison verließ den Jahn mit Alex Meyer eine der Säulen der vergangenen Jahre. Ersetzt wurde er durch Dejan Stojanovic, für den der Jahn sogar eine Ablöse von 300.000 Euro an den FC Middlesbrough bezahlte (Quelle: transfermarkt.de). Damit sicherte man sich einen Zweitliga-erfahrenen Torhüter, der bei St. Pauli und Ingolstadt weitgehend solide Arbeit ablieferte, mit letzterem Team allerdings in der Vorsaison abstieg. Die erste Hypothek zeigte sich jedoch gleich in der Saisonvorbereitung: Aufgrund einer vorherigen Verletzung schonte man Stojanovic noch; er trainierte erst dosiert und stand erst eine Woche vor Saisonstart bei den Testspielen gegen Unterhaching und Norwich im Kasten. Dass dies keine Hypothek sein musste, zeigten die ersten Saisonwochen, als Stojanovic ein sicherer Rückhalt war und beim Pokalspiel gegen Köln im Elfmeterschießen sogar zum Matchwinner avancierte.

Doch in den Wochen, in denen in der Jahn-Verteidigung etwas kaputtging (Stichworte: 0:6 gegen Karlsruhe, 0:4 gegen Düsseldorf), verlor auch Stojanovic seine Sicherheit. Sicherlich wurde er in jenen Wochen von seinen Vordermannen allein gelassen, aber ab Oktober patzte auch er: Ein erster dicker Fehler – leider spielentscheidend – unterlief ihm im Spiel gegen Magdeburg, als er einen eigentlich zu weiten Pass völlig unterschätzte und durchließ. Magdeburgs Luca Schuler bedankte sich, drei Punkte für einen direkten Konkurrenten in einem Spiel, das eigentlich keinen Sieger verdient gehabt hätte. Zweieinhalb Wochen später ließ Stojanovic im DFB-Pokal gegen Düsseldorf einen unplatzierten Aufsetzer zum 0:1 in den Kasten trudeln. Und gegen Hansa Rostock sah er bei allen Gegentoren, vor allem dem letzten, einer von Elvedi abgefälschten Hereingabe, die Stojanovic auf dem falschen Fuß erwischte, nicht gut aus. Danach war die Hinrunde für Stojanovic beendet (Bilanz: 14 Spiele, 21 Gegentore, aber auch sechs Mal zu null), er fehlte erkrankt. Thorsten Kirschbaum vertrat ihn in den letzten drei Spielen vor der Winterpause – und patzte auch, beim denkwürdigen 5:4 gegen Heidenheim. Beim 1:1 segelte er unter einer Beste-Ecke hindurch, die Jahn-Führung beim Spitzenteam war dahin. Insgesamt kassierte Kirschbaum in seinen drei Auftritten neun Gegentore.

Die Verantwortlichen sahen sich in der Winterpause aufgrund der zunehmenden Inkonstanz der Jahn-Schlussmänner wohl veranlasst zu reagieren. Mit Jonas Urbig konnte ein junger, aufstrebender DFB-U-Nationaltorwart für eine Leihe vom 1. FC Köln gewonnen werden. In der Wintervorbereitung setzte sich dieser gegen Stojanovic durch und stand in allen 17 Spielen (28 Gegentore, zwei Mal zu null) der Rückrunde im Kasten. Zweifellos zeigte Urbig hier sein Potenzial mit tollen Reflexen und einem guten Fußballspiel, doch von Wacklern blieb auch er nicht gefeit. Gleich im ersten Spiel der Rückrunde brachte er mit einem Kurzpass aus dem Sechzehner Max Thalhammer in Bedrängnis, dieser verlor den Ball und der Darmstädter Manu vollstreckte. Im Heimspiel im Mai gegen den HSV gab es eine ganz ähnliche Szene, die Bene Gimber dann nur durch ein Foul auflösen konnte – Elfmeter und 0:2-Rückstand. Diese zwei Szenen sollen Urbigs erste richtige Halbserie im Profibereich nicht schmälern: Zweifellos hat er Top-Anlagen, die er immer aufblitzen ließ und die bei weiterer Spielpraxis in eine Bundesliga-Karriere münden dürften. Allerdings brachte seine Risikofreude auch nicht immer Sicherheit für eine gegen den Abstieg kämpfende Jahn-Hintermannschaft. Vielleicht war die Aufgabe für den einzigen Jahn-Winterneuzugang auch zu groß: Ein 19-Jähriger, so talentiert er auch ist, kann nicht im Alleingang neue Impulse im Abstiegskampf setzen.

Die Offensivschwäche: Zu wenig Tore

Kommen wir damit zum letzten großen Punkt unserer Jahn-Saisonanalyse: die mangelnde Torgefahr. Mit 34 Treffern war die Jahn-Offensive die drittschwächste der Liga. Nur der 1. FC Nürnberg und Hansa Rostock waren mit 32 Toren noch harmloser. Insgesamt 568 Torschüsse gab der Jahn in der abgelaufenen Saison auf das gegnerische Tor ab – das ergibt eine Chancenverwertung von 6,0 Prozent. Nur Nürnberg war mit 5,0 Prozent noch schlechter. Nach den ersten zwei erfolgreichen Saisonspielen folgte eine Durststrecke von sechs Spielen, in denen überhaupt kein Tor erzielt wurde! Nur vier Jahnspieler schossen überhaupt mehr als ein Tor in dieser Saison: Prince Owusu, Andreas Albers, Kaan Caliskaner und Babis Makridis. So viel zu den bloßen Zahlen.

Dazu kommt, dass der Jahn sich generell schwertat, hochkarätige Chancen herauszuspielen. Gegen den Ball war der Jahn wie in den vergangenen Jahren oft stabil, mit dem Ball fehlte des Öfteren die Qualität und die Kreativität. Das liegt zum einen daran, dass Trainer Mersad Selimbegovic es nicht schaffte, ein offensives Spielsystem zu etablieren, das gegen defensiv gut stehende Zweitligisten funktionierte. Zu selten spielte sich das Team in einen Lauf, wie etwa gegen Kaiserslautern (drei Treffer) oder gegen Heidenheim (vier Treffer, wobei man allerdings fünf kassierte). Einziges zuverlässiges Mittel schienen Flanken und hohe Bälle zu sein, die Albers und/oder Owusu entweder ablegten oder selbst verwerteten. Bei den Kopfballtoren liegt der Jahn mit sieben erzielten Treffern auf Rang elf der Liga. Den Außen und offensiven Halbpositionen fehlte oft die Durchschlagskraft oder die Präzision, um noch mehr Torgefahr erzeugen zu können. Auffällig auch: Mit nur fünf erzielten Treffern ist der Jahn ab der 75. Minute das schwächste Team der Liga. Zum Vergleich: Spitzenreiter in dieser Disziplin ist der HSV mit 21 Toren.

Zum anderen lieferte das Offensivpersonal diese Saison nicht so wie in den vergangenen Jahren. Max Thalhammer, Bene Gimber und Christian Viet waren mehr Dauerläufer und Zerstörer im defensiven Mittelfeld als offensive Ankurbler. Der für letzteres Profil geholte Blendi Idrizi fand zu selten ins Team und bot sich deshalb zu wenig als Alternative an. Sarpreet Singh fehlte aufgrund der peinlichen Passpanne ein halbes Jahr und tauchte in der Rückserie zu oft ab. Babis Makridis und Kaan Caliskaner sind zwar fähig zu tollen Einzelaktionen, aber waren zu selten ein spielentscheidender Faktor. Joshua Mees tauchte noch im Spätsommer komplett in ein Leistungsloch ab, aus dem er bis zuletzt nicht herausfand. Aygün Yildirim, Minos Gouras und Nicklas Shipnoski zeigten zwar bisweilen den Biss und den Willen, blieben aber ohne Torgefahr. Der nachverpflichtete Dario Vizinger fand überhaupt nicht ins Team. Einzig Andreas Albers und Prince Owusu versprühten halbwegs konstant Gefahr. Dumm nur: Jeweils lediglich eine Halbserie lang. In der Hinrunde gelangen Albers sieben Treffer, in der Rückrunde keiner mehr. Owusu traf in der Hinrunde magere zweimal, in den letzten zehn Spielen immerhin siebenmal. Zu spät, um den Abstieg noch abzuwenden.